In dieser antiken Schlichtheit lassen wir uns das Alpine noch so gern gefallen: Restaurant Usinga auf Gut Ising am bayerischen Chiemsee.

Foto: M. Corti
Foto: M. Corti

Am stets geheimnisvollen Chiemsee, wo sich unser deutsches Eck vorbeistaut, liegt ein voralpiner Gutshof mit Namen Ising. Er stammt aus dem 17. Jahrhundert und hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zum ausladenden Hoteldorf samt Reitstall, Poloklub, Golfplatz und anderen Feisten der gut bürgerlichen Lebensart entwickelt. Die Küche war bislang ganz auf zünftig hergemacht, mit besonderem Augenmerk auf Chiemsee-Renken, Seesaiblinge und große Braten der schamlos bajuwarischen Art.

Das ist zwar einerseits alles beim Alten geblieben, anderseits aber wurde vor einigen Wochen ein zusätzliches Restaurant, Usinga, eingerichtet, das nur 18 Sitzplätze bietet, im ältesten Teil des Hofs untergebracht ist und mit dem jungen Roland Schön als Küchenchef durchaus ambitioniert besetzt wurde. Der war zuletzt nämlich im Nordsee-Zweisterner Fährhaus auf Sylt zugange und verspricht, an seiner neuen Arbeitstätte "feinste Alpenkulinarik" auf die Teller zu bringen.

Schlichtheit der Stube

Noch vor dem Essen gilt es, die exemplarische Schlichtheit der Stube zu loben: Breiter Holzboden, niedere Decke, antikbäuerliches Gestühl und rohe Tischplatten, dazu nichts als ein paar gepresste, gerahmte Blüten und Kräuter an den glatt und doch nicht fein verputzten Wänden - so pur, geradezu bescheiden in Szene gesetzt, hat die ländliche Pose schon Format.

Die Küche geht es im Vergleich doch opulenter, nicht ganz so fokussiert auf die Möglichkeiten der Region ein. Zwar zeigt sie gleich am Anfang mit einem Duett aus kurzgebratenem, am Schmelzpunkt zarten Reh und kräftiger, wenngleich nicht ganz saftiger Crepinette vom Fasan, welche Fleischqualität das lokale Wild bietet. Mit der dazu kombinierten, in Port geschmorten Feige geht sie aber ebendiesen Weg, statt, mutig. einer regionstypischen Frucht die Bühne zu bereiten. Dasselbe möchte man auch bei der zur Rote-Rüben-Suppe servierten Jakobsmuschel samt Wachtel-Spiegelei einwenden, nur gelingt diese exzentrische Dreier-Menage so köstlich ausbalanciert, dass man ausnahmsweise genießt und schweigt.

Kalbsrücken ist ebenso eine reine Herrlichkeit, die Rotweinsauce dicht und doch fast zart - alles andere als erschöpfend, wie einem das sonst so oft geschieht. Dazu gibt es richtig basilikumösen Risotto, ganz frisch gerührt, und sanft ins haselnussbraune geröstete Karfiolröschen: Wenn ängstliche Küche so gut über die Rampe gebracht wird, soll sie sein. Über den Steinbutt mit Morcheln allerdings kann nur der Mantel des Schweigens gebreitet werden. Wobei: Wer am Chiemsee Steinbutt bestellt, der hat in Wahrheit eh nix anderes verdient. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 9.11.2012)