Aztekischer Federkopfschmuck aus dem frühen 16. Jahrhundert. Die Federn stammen von Quetzal, Azurkotinga, Rosalöffler und Cayenne-Fuchskuckuck. Die übrigen Materialien sind Holz, Fasern, Amatepapier, Baumwolle, Gold und Bronze.

Foto: KHM mit MVK und ÖTM

Geheimnisse ranken sich viele um den altmexikanischen Federkopfschmuck. Steht der Penacho, das in Grün- und Blautönen irisierende Exponat des Wiener Völkerkundemuseums, tatsächlich in Verbindung mit dem legendären Aztekenfürsten Moctezuma?

Für die Wissenschafter, die das letzte erhaltene Exemplar eines präkolumbianischen Federschmucks im Rahmen einer mexikanisch-österreichischen Kooperation aufwändig gereinigt und konserviert haben, ist die Antwort klar: nein. Ob es sich um den Kopfschmuck eines Hohepriesters für rituelle Handlungen handelte, wie und durch wen er wirklich nach Österreich kam - diese Fragen stehen heute im Vordergrund. Tatsache ist: Nach dem Tod des Tiroler Landesfürsten Erzherzog Ferdinand II. im Jahr 1596 wurde ein Inventar seiner Rüst-, Kunst- und Wunderkammern in Schloss Ambras angelegt. Darin ist der Kopfschmuck erstmals als "...ain mörischer Huet ..." erwähnt. Am Beginn des 19. Jahrhunderts gelangte er zusammen mit anderen Gegenständen der Ambraser Sammlung nach Wien - und sorgte mitunter für Brösel in Sachen Restitution.

Ab 15. November 2012 können der Penacho und weitere kostbare mexikanische Federobjekte aus präkolumbischer und frühkolonialer Zeit im Rahmen der von Gerard van Bussel kuratierten Ausstellung Penacho: Pracht und Passion im Wiener Völkerkundemuseum bewundert werden. Diese thematisiert auch die Bewahrung eines extrem fragilen Objekts - die durch Kompensieren etwaiger Vibrationen und durch technische Hilfe seitens der TU Wien auf eine neue Basis gestellt wurde.

Um nichts weniger vibrierend ist eine Reise ins ehemalige Herzland des Aztekenreiches. Oder genauer: zwischen die Schichten der neuen, alten Hauptstadt Mexiko-Stadt, die an der Stelle der Azteken-Hochburg Tenochtitlán entstand, ins Pantheon verschütteter Aztekengötter und das nebelige Habitat des legendären Quetzal-Vogels. (Robert Haidinger, Rondo, DER STANDARD, 9.11.2012)

www.ethno-museum.ac.at

Tenochtitlán reloaded

Als die Spanier Tenochtitlán 1521 zerstörten, lebten dort 1,2 Millionen Menschen. Das machte die aztekische Hauptstadt zur größten Stadt Amerikas, die im Europa des 16. Jahrhunderts nur von Konstantinopel und Neapel übertroffen wurde. Cortés & Co ließen in Tenochtitlán - wörtlich: dem Steinkaktusort - kaum einen Stein auf dem anderen. Und doch: Spuren der Azteken tauchen immer wieder auf. Beim U-Bahn-Bau, wenn Kabel verlegt und Kanäle gegraben werden. Erst 2011 machten Archäologen einen erstaunlichen Fund: Am Fuß der ehemals größten Tempelpyramide der alten Aztekenhauptstadt Tenochtitlán entdeckten sie mehr als 550 Jahre alte Steinplatten, auf denen in Bildern der Mythos um den Kriegsgott Huitzilopochtli erzählt wird. Doch auch die Pyramide Templo Mayor selbst, das spirituelle Zentrum des Aztekenreiches, wurde erst 1979 nördlich des Zócalo-Platzes entdeckt, unmittelbar neben der Kathedrale. Ähnliches gilt für Tlatelolco, Tenochtitláns Zwillingsstadt im Hochtal von Mexiko, über das sich nun der Großraum Mexiko-Stadt auswalzt. Im Jahr 2007 wurde hier eine weitere Pyramide entdeckt - das bislang älteste Azteken-Bauwerk der historischen Kernregion.

Braune Jungfrau Tonantzin

Mit Federschmuck haben Mexikos Priester nichts am Hut - aber ein Verdacht stellt sich beim Blick auf den mexikanischen Katholizismus schnell ein. Er lautet: Die Aztekengötter sind nur scheintot. Beispiel Basílica de Guadalupe im Norden der Hauptstadt, Hort der dunklen Marienstatue "La Virgen Morena". Sie gilt als wichtigste Reliquie des Landes, was sich auch an der großen Anzahl der Replikas auf mexikanischen Souvenirständen ablesen lässt. Wenn am 12. Dezember die Massen zur Basilika strömen, dann finden sich auch indigene Tanzgruppen mit wippenden Federn ein. Tatsächlich befand sich hier, am Hügel Cerro del Tepeyac ein Schrein der aztekischen Mond- und Muttergöttin Tonantzin. Das von Missionaren bewusst überlagerte Bild von Tonantzin / Schwarze Madonna ergibt also durchaus Sinn: Erleichterte es doch die Akzeptanz der fremden christlichen Religion. Dahinter steht ein System: Anthropologen interpretieren etwa die hohe Bedeutung zahlloser katholischer Heiliger in Mexiko als Neuauflage des einst vertrauten aztekischen Polytheisten-Pantheons. Noch eindeutiger ist das mexikanische Nationalemblem vom Adler, der sich eine Schlange greift. Es ist das zentrale Bild des aztekischen Entstehungsmythos der Hauptstadt Tenochtitlán.

Conchero

Zócalo ist das heftig pochende Herz von Mexiko-Stadt - und als ehemaliger heiliger Bezirk der aztekischen Stadt Tenochtitlán auch die logische Bühne etwaiger Erben der aztekischen Kultur. Unübersehbar haben hier moderne Conchero-Tänzer ihre Posten bezogen. Ihr charakteristischer Kopfschmuck aus Straußenfedern - der "copilli" - ist zwar eine moderne Entwicklung. Aber die verwendeten Symbole, ihre Meeresschnecken-Blasinstrumente und die traditionellen Schrittfolgen sind präkolumbischer Natur. Der Name Conchero für diesen zeremoniellen Tanz stammt übrigens von den kleinen Zupfinstrumenten aus Gürteltierpanzer - was wiederum spanische Einflüsse verrät.

Quetzal

Rosa Flamingo-, rotbraune Kuckucks- und blaue Kotingafedern finden sich ebenfalls auf dem ältesten Federschmuck der präkolumbischen Ära. Aber den entscheidenden Glamour verleihen ihm die smaragdfarben schillernden, bis zu 55 Zentimeter langen Schwanzfedern des Quetzalvogels. Die Azteken verehrten ihn als Gottheit: Wer ihn tötete, wurde selbst mit dem Tode bestraft. Später wurde der Quetzal zum Symbol für Freiheit - übersteht er eine Gefangenschaft wegen häufiger Pilzerkrankung der Atemwege doch nur schlecht. Am besten, man sucht den gut 35 Zentimeter großen Quetzal alias Pharomachrus mocinno, der zur Familie der Trogone gehört, in seinem einzigen Lebensraum: den Nebelwäldern Mittelamerikas. Dort findet der Quetzal jene morschen Baumstümpfe vor, in die er seine Bruthöhlen gräbt. In Mexiko entdeckt man ihn in den Bundesstaaten Oaxaca und Chiapas - etwa im Biosphären-Reservat El Triunfo. Dieser ist Teil der Gebirgszüge der Sierra Madre de Chiapas, deren Hänge auf bis 2550 Meter Höhe reichen.

Nahuatl

Das rollende R half den Spaniern nicht wirklich weiter: Sie hatten mit der Fonetik des Aztekenherrscher-Namens gröbere Probleme. So wurde aus Moteuczoma - es bedeutet "Er schaut finster drein wie ein Fürst" - zunächst Moctezuma, später gar Montezuma. In manchen Fällen ließen die Spanier aber bloß das l unter den Tisch fallen: Denn auch Wörter wie Tomate (tomatl), Kakao (cacahuatl), Ozelot (ozelotl), Schokolade (xocoatl), Kojote (coyotl) oder Avocado (ähuacatl) sind aztekischer Provenienz. Nur "chilli" blieb Chili. Ausgestorben sind weder die dazugehörigen Rezepte noch die aztekische Sprache. Das heutige, in verschiedene Dialekte zerfallende Idiom Nahuatl ist eine indigene Sprache aus der Sprachfamilie der uto-aztekischen Sprachen. Mit etwa 1,5 Millionen Menschen sind die Nahua (Nahuatl-sprachige) Mexikos größte indigene Volksgruppe, deren Mitglieder vor allem in den zentralmexikanischen Bundesstaaten Puebla, Veracruz, Hidalgo und Guerrero leben - also rund um den Moloch Mexiko-Stadt.

Kopie und Kalenderstein

In Form einer Kopie befindet sich der berühmte Federschmuck schon längst in Mexiko-Stadt. Genauer: Im 1964 eröffneten Museo Nacional de Antropología, dem Nationalmuseum für Anthropologie im zentral gelegenen Stadtpark Bosque de Chapultepec. Spannender als die Nachbildung sind freilich die auf einer Fläche von 44.000 Quadratmetern präsentierten Exponate aus der prähistorischen und der präkolumbischen Ära. Das wichtigste Ausstellungsstück ist der 25 Tonnen schwere Piedra del Sol, ein aztekischer Kalenderstein. Weitere herausragende Exponate: mehrere 20 Tonnen schwere olmekische Kolossalköpfe, farbenprächtige Maya-Wandbilder oder Océlotl-Cuauhxicalli - ein als Jaguar ausgestaltetes Opfergefäß zur Verwahrung von Menschenherzen.

www.mna.inah.gob.mx

Metrostation Moctezuma

Jede der 175 Metrostationen in Mexiko-Stadt wird mit einem individuellen Kennzeichen markiert, das in Verbindung mit dem Stationsnamen oder der näheren Umgebung steht. Der Schnurrbart und Sombrero des Revolutionärs Emiliano Zapata, gleich neben der viel frequentierten Haltestelle Coyoacán, zählt zu den auffälligsten Beispielen dieser schon bald vertrauten Logos. Eher selten verirren sich Besucher in die vier Haltestellen östlich der Altstadt Ciudad de México gelegenen Metrostation Moctezuma der Linie 1. Hier taucht der Federschmuck in stilisierter Form auf rosarotem Hintergrund auf - und verweist auf die im Bewusstsein der Mexikaner gewachsene, zugleich rein spekulative Verbindung von Federschmuck und Moctezuma. Auch der Name des umliegenden Viertels leitet sich vom Aztekenherrscher ab: Colonia Moctezuma. Unabhängig von diesem gefiederten Metro-Logo zählen aztekische Bildergeschichten zu den beliebtesten Motiven der mexikanischen Street Art. Vor allem in ärmeren Stadtvierteln tauchen präkolumbianische Symboliken und deren Karikaturen auf privaten Hauswänden ebenso auf wie in Straßenunterführungen oder an den Fassaden öffentlicher Einrichtungen.

Feurige Kaktusfeige

Eigentlich ist der Mann, dessen Name so viel wie "säuerlich-bittere und feurige Kaktusfeige" bedeutet und also auf eine Pflanze verweist, die nur dank tiefer Wurzeln überleben kann, ja staatlich geprüfter Fremdenführer. Bekannter wurde Xokonoschtletl Gomora aber als selbsternannter Anwalt in Sachen Federschmuck-Restitution. Seit zwei Jahrzehnten organisiert er in dieser Angelegenheit Petitionen, Sammlungen und Demos, produziert nebenbei Videos, Bücher und DVDs altmexikanischer Tonalität und tourt mit der indigenen Tanzgruppe Ometeotl mal über Mesas, dann durch die Schweiz. Aber Xokonoschtletl tanzt auch mit Touristen an: In Muna, auf der Halbinsel Yucatán, leitet er Maya-Sprachkurse, und organisiert den Besuch der nahegelegenen archäologischen Stätten und Grotten Uxmal, Sayil, Labná, Xlapak, Chichén Itzá, Kalketok, Loltún.

www.xoko.org