Im früheren städtischen Heim im Schloss Wilhelminenberg waren die Kinder teils schwersten Übergriffen ausgesetzt. Auch organisierter Missbrauch kann nicht ausgeschlossen werden.

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Wien - Viele Kinder wurden ohne Vorbereitung von daheim abgeholt und nach einigen Tage in einer Kinderübernahmestelle ohne weitere Erklärung ins Heim im Schloss Wilhelminenberg gebracht. Der Kontakt zur Familie und zu Freunden wurde zumindest eingeschränkt oder ganz unterbrochen, eigene Kleidung und Spielzeug mussten die Kinder abgeben. Um dann oft viele Jahre schutzlos "systematischer Gewalt und der Gefahr sexuellen Missbrauchs" ausgesetzt zu sein, wie es Barbara Helige, die Vorsitzende der Wilheminenberg-Kommission, beschreibt.

Oft wurden die Kinder bereits im Vorhinein als schwer erziehbar beschrieben. Eine Zeugin hatte berichtet, dass ein Heimmitarbeiter bereits die ganz Kleinen als "Gfraster, die ohnehin Verbrecher würden" bezeichnete.

Bild verdichtet sich

Am Donnerstag hat die von der Stadt eingesetzte Kommission ihren dritten und letzten Zwischenbericht vorgelegt, der Endbericht soll im kommenden Mai fertig sein. Bis Mitte Oktober haben sich 125 Menschen gemeldet, mit 54 weiteren hat die Kommission Kontakt aufgenommen, 144 Interviews wurden bisher geführt. Und das Bild des gewalttätigen Umfeldes, dem die Kinder im Heim ausgesetzt waren, wird immer dichter. Die Betroffenen nannten in den Gesprächen Täter, Mitwisser und Zeugen der Übergriffe, einige konnten auch namentlich ausgeforscht werden.

Sexueller Gewalt waren dem Bericht zufolge Mitte der 1960er-Jahre vor allem Kinder unter zehn Jahren ausgesetzt, "wobei Traumatisierung und persönliche Betroffenheit sich als besonders tief erweisen und meist bis ins Erwachsenenalter reichen". Vielen Verantwortlichen, heißt es weiter, sei bekannt gewesen beziehungsweise hätte bekannt sein müssen, dass es gewalttätige Übergriffe gab, Gegenmaßnahmen seien aber nicht ergriffen worden.

Organisierte Form sexuellen Missbrauchs

Ehemalige Heimkinder hatten auch immer wieder von einer organisierten Form des sexuellen Missbrauchs berichtet. "Nach derzeitigem Erkenntnisstand kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Verdacht ... zerstreut hätte", heißt es im Bericht.

Bekannt wurden manche Übergriffe bereits damals, die Kommission hat in den Akten Belegstellen gefunden, die zeigen, dass Vorgesetzte, aber auch Politiker davon Kenntnis hatten. Namen möchte Helige allerdings nicht nennen.

Einsicht in Personalakten wichtig

"Die Frage ist, wie hat das System reagiert", sagt sie. Deshalb sei auch die Einsicht in die Personalakten so wichtig. In diesem Punkt erhebt die Kommission schwere Vorwürfe gegen den Magistrat. "Es wurde vereinbart, dass uns die Personalakten im Original vollständig zur Verfügung gestellt werden", sagt Helige. Nun habe, steht in dem Bericht, die Kommission allerdings erfahren, dass Beamte der internen Revision des Magistrats die Akten vor der Übergabe durchsehen, um diese um " überzählige Leerblätter oder Doppelkuverts" zu bereinigen.

"Es ist nicht ein einziges Blatt verrückt worden", beteuert ein Sprecher der Magistratsdirektion, der die Vorwürfe als "empörend" bezeichnete. Bisher seien rund 50 Personalakten an die Kommission ausgehändigt worden. "Viele Namen sind nur phonetisch bekannt, natürlich müssen wir nachschauen, ob es sich auch um die gesuchte Person handelt." (Bettina Fernsebner-Kokert, DER STANDARD, 9.11.2012)