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Hostessen vor der Großen Halle des Volkes in Peking.

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Eberhard Sandschneider: "Die führende Rolle der KP wird von niemandem an der Parteispitze in Frage gestellt."

Foto: DGAP Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.

Am Donnerstag hat in Peking der einwöchige Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas begonnen, bei dem die rund 2.300 Delegierten einen Generationswechsel in der Führung billigen sollen. Eberhard Sandschneider, Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, erklärt im Gespräch mit derStandard.at, ob die Hoffnungen vieler westlicher Beobachter in die geplanten Reformen gerechtfertigt sind.

derStandard.at: Präsident Hu Jintao hat in seiner Eröffnungsrede am Parteitag mehr Anstrengungen in der Korruptionsbekämpfung gefordert. Laut Transparency International liegt das Land auf Platz 75 von 178 Staaten weltweit. Unter diesem Problem leiden viele Länder, die die Umstellung von Plan- auf Marktwirtschaft versuchen. Was ist an Chinas Weg außergewöhnlich?

Sandschneider: Zunächst einmal die Tatsache, dass ein eindeutig kommunistisch regiertes Land dieses Wirtschaftswachstum und die damit verbundene Wohlstandssteigerung für große Teile der Bevölkerung überhaupt hinbekommen hat. Das steht üblicherweise nicht in unseren Lehrbüchern zur Leistungsfähigkeit kommunistischer Systeme – obwohl es da natürlich nicht nur bewundernswerte Entwicklungsleistungen festzustellen gibt, sondern ebenso beeindruckende Problemlagen, mit denen die neue Führung zu kämpfen haben wird.

derStandard.at: Im Mai 2011 beschloss der Staatsrat, dass alle Behörden ihre Ausgaben offenlegen müssen. Bisher haben nur zehn Prozent der Bundesämter mehr als 60 Prozent dieser Anforderungen erfüllt – wie geht es weiter?

Sandschneider: Das Problem ist die Umsetzung der Gesetze in der täglichen Praxis, hier gibt es sicher große Herausforderungen.

derStandard.at: Die derzeitige Führungsschicht profitiert vom bestehenden System. Warum sollten diese Leute Reformen versuchen?

Sandschneider: Dass es jetzt in China solche westlichen Standards entsprechende Gesetze gibt, ist sicher auch auf Druck von außen zurückzuführen. Westliche Staatschefs wie Angela Merkel wissen immer wieder auf bestehende Rechtsvorschriften hinzuweisen.

derStandard.at: Manche Kommentatoren hoffen auf zunehmenden Einfluss einer neuen Führungsschicht, die im Westen studiert hat. Ist das realistisch?

Sandschneider: Das sind westliche Hoffnungen. Aus chinesischer Sicht hat ein möglicher Führungswechsel viel mehr mit Stabilität zu tun als mit der Notwendigkeit, alles umzukrempeln. Die neue Führung hat von ihren Vorgängern viele Probleme geerbt, deren Lösung dringlicher ist.

derStandard.at: Regionalkonflikte mit Japan und Südkorea haben sich bisher auf Flottenaufmärsche und möglicherweise staatlich gelenkte Demonstrationen beschränkt. Wie wird sich China in Zukunft seinen Nachbarn gegenüber verhalten?

Sandschneider: Chinas wachsende wirtschaftliche Bedeutung führt dazu, dass auch die politischen und militärischen Kapazitäten des Landes in den Nachbarländern stärker wahrgenommen wird. China selbst hat großes Interesse an Stabilität in der Region, um seine Entwicklung fortsetzen zu können. In Fragen nationaler Souveränität ist man allerdings bereit, seine Interessen kompromisslos zu verteidigen.

derStandard.at: China gibt einen erheblichen Teil seines Budgets für Aufrüstung aus, der erste Flugzeugträger des Landes wurde soeben der Marine übergeben. Sind die diesbezüglichen Ängste der Anrainerstaaten berechtigt?

Sandschneider: Länder, die eine so rasche Wirtschaftsentwicklung durchlaufen, sind irgendwann in der Lage, diese Leistung auch in politische Macht und militärische Fähigkeiten umzusetzen, weshalb diese Bedenken verständlich sind. Alleine, dass da jetzt ein Flugzeugträger schwimmt, bedeutet allerdings noch nicht, dass China jetzt in der Lage ist, nach amerikanischem Vorbild Trägerverbände zu entsenden.

Das Schiff basiert auf veralteter Technologie, ist aber doch ein Anzeichen für Chinas Bestrebungen, verstärkt in diese Entwicklungen zu investieren. Derzeit ist das noch kein wirkliches Problem, würde ich sagen, aber in 20 Jahren sieht die Sache anders aus.

derStandard.at: Was halten Sie von Spekulationen, wonach Chinas KP in absehbarer Zeit einen Teil ihrer Macht abgeben könnte?

Sandschneider: Westliche Hoffnungen sagen immer mehr über den Westen als über China aus. Die führende Rolle der KP wird von niemandem an der Parteispitze in Frage gestellt.

derStandard.at: Immer wieder wird von China verlangt, seine Währung aufzuwerten, um einen Ausgleich herzustellen ...

Sandschneider: Der Yuan-Kurs ist in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Solange sich China dem globalen Wettbewerb nicht gewachsen fühlt, werden natürlich lokale Unternehmungen geschützt. Wenn sie allerdings dann glauben, Wettbewerbsfähigkeit erlangt zu haben, werden sie ihre Währung konvertierbar machen und den Yuan neben US-Dollar und Euro zur dritten internationalen Leitwährung machen.

derStandard.at: Als China 2010 den Export Seltener Erden drastisch einschränkte, wurden in aller Eile seit Jahrzehnten stillgelegte Bergwerke reaktiviert, um die Versorgung mit den begehrten Rohstoffen sicherzustellen. Was bezweckten die Chinesen damit?

Sandschneider: China hat großen Bedarf an allen Ressourcen und versucht, die Versorgung sowohl im In- als auch im Ausland sicherzustellen. Wenn das Wirtschaftswachstum so weiterläuft, ist in drei bis fünf Jahren damit zu rechnen, dass nirgendwo auf der Welt genügend Rohstoffe vorhanden sind, die diesen Ressourcenhunger stillen könnten. Da sehe ich als eines der größten Konfliktpotenziale im 21. Jahrhundert.

derStandard.at: Was ist dann außer einem drastischen Anstieg der Rohstoffpreise und den damit verbundenen Auswirkungen auf die Welt zu erwarten?

Sandschneider: Das würde durchaus auch Konfliktstoff für militärische Auseinandersetzungen beinhalten. Ich verweise in diesem Zusammenhand auf Gabor Steingarts Buch "Weltkrieg um Wohlstand".

derStandard.at: China investiert massiv in Afrika und errichtet dort Infrastrukturprojekte wie Straßen und Pipelines. Geht es hier nur um Zugang zu Rohstoffen oder gibt es verborgene Absichten?

Sandschneider: Hier zeigt sich die Konkurrenzsituation zum Westen. Im Vergleich zu westlichen Entwicklungshilfeprojekten, von denen man in Afrika genau weiß, dass sie letztendlich nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen, ist China da ausgesprochen erfolgreicher, wenn man einmal von der Arbeitsmarktsituation vor Ort ab sieht.

derStandard.at: Um noch einmal auf die Schwierigkeiten der Umstellung von Plan- auf Marktwirtschaft zurückzukommen: Was hat China Ihrer Meinung nach aus dem Beispiel Sowjetunion gelernt?

Sandschneider: Das hat Deng Xiaoping schon vor vielen Jahren festgestellt: Gorbatschow hat aus chinesischer Sicht an der falschen Ecke angefangen, indem er mit politischen Reformen begonnen hat. China hat den Weg gewählt, zuerst die Wirtschaft umzubauen, und dieser Weg hat sich bisher als ausgesprochen erfolgreich erwiesen. (Bert Eder, derStandard.at, 8.11.2012)