Bei den Finanzmarktgesprächen beim Forum Alpbach im August hatte ich eine heftige Diskussion mit einem österreichischen Finanzmanager, der erklärte, dass die US-Investmentbank Goldman Sachs eigentlich die Welt regiert, indem sie ihre Leute in die wichtigsten Positionen drückt ­– von den ehemaligen US-Finanzministern Robert Rubin Henry Paulson bis zum EZB-Präsidenten Mario Draghi.

Ich widersprach vehement: Was immer man gegen Goldman Sachs im Speziellen oder die weltgrößten Banken vorbringen kann, die These einer geheimen Macht im Hintergrund ist eine typische Verschwörungstheorie, die im Fall einer Investmentbank mit jüdischen Wurzeln (und Namen) noch dazu an antisemitische Traditionen anknüpft.

Genauso gut kann man die Freimaurer oder die Bilderberger für alles Übel in der Welt verantwortlich machen.

Nun hat Falter-Chefredakteur Armin Thurnher in seinem jüngsten Leitartikel (nicht im Netz) die Theorie der allmächtigen Goldman Sachser aufgegriffen. Verfasst am Vorabend der US-Wahlen war es ein Versuch, über den Wahltag hinaus etwas Allgemeingültiges über Amerika zu schreiben.

Aber die Botschaft des Textes ist klar: Eigentlich ist es gleichgültig, ob Barack Obama oder Mitt Romney im Weißen Haus sitzt. Die Macht hat ohnehin das Finanzkapital und hier vor allem Goldman Sachs.

Dass der respektierte und über jeden Populismus erhabene Falter-Chef in dieses Horn bläst, macht das Argument nicht besser.

Ja, Goldman Sachs unter seinem mächtigen Chef Lloyd Blankfein (Bild) ist angreifbar genauso wie andere Finanzinstitutionen – und sie werden auch massiv angegriffen. Sie verdienen viel zu viel, sie nützen ihre Kunden aus, sie gehen hohe Risiken ein, mit der sie die Weltwirtschaft gefährden, und erwarten dann, dass die Steuerzahler die Sache wieder ins Lot bringen. Und mit allen Mitteln üben sie Druck auf die Politik aus, damit die Gesetze und der Vollzug  ihren Interessen entsprechen und ihre Gewinne nicht schmälern.

Wenn FMA-Chef Kurt Pribil, wie zuletzt bei einer Standard-Diskussion, behauptet, dass auch der österreichische Staat von seinen Banken erpressbar ist, dann gilt das auch für andere Staaten.

Aber das heißt nicht, dass die Banken sich immer durchsetzen, dass sich die eigenen Regeln machen können und dass sie im Hintergrund die Politiker wie Puppen tanzen lassen können. Und vor allem ist Goldman Sachs nur ein Spieler von vielen – etwas geschickter, größer, reicher und möglicherweise auch skrupelloser, aber nicht die diabolische Macht, die alles böse schafft.

Ja, Goldman Sachs ist auf Gewinnmaximierung aus, aber das ist praktisch jedes Unternehmen dieser Welt. Goldman hat kurz vor Ausbruch der Weltfinanzkrise 2008 Anlegern „giftige“ Immobilien-Wertpapiere (CDOs) verkauft und gleichzeitig gegen diese Papiere gewettet. Aber die Käufer waren selbst große Banken, die es besser hätten wissen sollen – und Goldman hat dafür Strafen im Ausmaß von mehreren hundert Millionen Dollar gezahlt.

Ja, Goldman hat Griechenland durch komplexe Finanztransaktionen geholfen, den katastrophalen Zustand der Staatsfinanzen zu verschleiern. Aber das tun jeden Tag im kleineren Ausmaß auch andere Dienstleister, etwa Anwälte und Steuerberater. Die Verantwortung trugen die griechischen Politiker, und zum Erfolg der Täuschung haben Investoren und EU-Beamte beigetragen, die sich hinters Licht haben führen lassen.  

Und vor allem: Wenn jemand einmal für Goldman Sachs gearbeitet hat, bleibt er diesem Arbeitgeber nicht ein Leben lang verpflichtet. EZB-Chef Draghi ist kein Söldner der Großfinanz, sondern versucht mit allen Mitteln, die Eurozone aus der Krise zu führen. Dass er dabei auch die Interessen der Banken mitberücksichtigen muss, weil sonst das System rasch kollabiert, ist kein Zeichen doppelter  und verräterischer Loyalitäten.

Schließlich: Es macht keinen großen Unterschied, ob Obama oder Romney im Weißen Haus sitzt, ob Demokraten oder Republikaner im Kongress die Regulierungsgesetze schreiben. Dodd-Frank, 2009 von der demokratischen Mehrheit verabschiedet, ist für die Banken eine schwere Belastung. Auch die neuen Auflagen in EU-Staaten und der Eurozone sind nicht das, was sich Banker wünschen – im Gegenteil.

Wenn Obama die höhere  Einkommensteuer für Reiche in den USA durchsetzt, dann würden auch die Goldman-Sachs-Banker einen größeren (wenn auch immer noch nicht ausreichenden) Beitrag zum Allgemeinwohl  leisten. Die meisten von ihnen haben sich Romney gewünscht, einige aber haben Obama auch finanziell unterstützt. Sie sind manchmal abgehoben, wie es auch Greg Smith in seinem neuen Enthüllungsbuch darstellt, aber keine Dämonen.

Die ideologisch motivierte Dämonisierung durch Thurnher & Co. geht daher daneben.