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Zögerlich, aber doch: Langsam finden die Menschen wieder den Weg in die Bergregionen zurück.

Foto: Reuters/Wiegmann

Brixen/Salzburg - Geschlossene Schulen, verwaiste Höfe, entvölkerte Dörfer - dieses Bild wird gemeinhin von der Entwicklung der Alpentäler gezeichnet. Es stimmt freilich nur teilweise, wie der Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete, Thomas Egger, nicht müde wird zu betonen.

Gerne erzählt Egger von der Ansiedelung des Mikrotechnologie-Kompetenzzentrums MCCS im Kanton Obwalden vor fünf Jahren. Für den Hightech-Betrieb wäre es zwar kein Problem gewesen, Fachleute zu finden, allein die Familien wollten nicht aufs Land nachziehen. "Wir wollen nicht bei den Kühen leben", fasste Egger die Haltung der potenziellen Zuwanderer im Rahmen einer Tagung Ende Oktober beim International Mountain Summit (IMS) im Südtiroler Brixen zusammen.

Erst als es gelungen sei zu kommunizieren, dass die Stadt Luzern samt ihrer sozialen Infrastruktur und ihrem Freizeit- und Kulturangebot kaum 20 Autominuten entfernt liege, seien die Menschen gekommen. Man habe am Image gearbeitet, das Ansiedelungsprojekt sei ein Erfolg geworden.

Differenziertes Bild

Ein Blick auf die Bevölkerungsentwicklung im gesamten Alpenbogen zwischen 2002 und 2009 ergibt ein durchaus differenziertes Bild: Im Westalpenbereich konnten viele Gemeinden ein Plus von bis zu sieben Prozent verzeichnen, wenn auch teilweise von einem recht niedrigen Niveau aus. Im Ostalpenraum hingegen - hier vor allem Osttirol, Obersteiermark, Niederösterreich - war der Saldo geringfügig negativ.

So unterschiedlich die für das Plus oder Minus ausschlaggebenden Umstände im Einzelnen auch sind - von der Abwanderung aufgrund nicht mehr erschwinglicher Bodenpreise in Zweitwohnsitzgemeinden bis zur Zuwanderung durch Arbeitsmigration in Tourismusgebieten -, generell gilt: Die Diskussion werde von "alten, teilweise überholten" Vorstellungen geprägt, betonte beim IMS Thomas Dax. Er ist bei der Bundesanstalt für Bergbauernfragen in Wien für Fragen des Wandels im ländlichen Raum zuständig.

"Harte" und ...

Regionalpolitik benötigt zuallererst eine entsprechende "harte" Infrastruktur. Ein Beispiel von vielen ist der Bergtourismus. Grundvoraussetzung sei eine funktionierende Landwirtschaft, erklärt der Südtiroler Tourismusexperte Harald Pechlaner.

Damit die Bauern ihre Produkte "zeitnah vermarkten" könnten und damit die Landwirte überhaupt "bereit sind, zu bleiben und auf die Annehmlichkeit des Urbanen zu verzichten", müssten Höfe und Almen erschlossen sein. Für die Gebietskörperschaften ein großer Brocken: Allein im Land Salzburg ist das ländliche Wegenetz über 3000 km lang. 2014 werden dort zur Erhaltung der Wege 9,4 Millionen Euro ausgegeben.

Hilfe zur Selbsthilfe statt "Zwergschulen"

"Wir müssen die Ressourcen besser einsetzen", verlangt der Präsident des Südtiroler Gemeindeverbandes, Arno Kompatscher, (SVP) in diesem Zusammenhang. Für ihn ist es fragwürdig, "jede einzelne Zwergschule" zu erhalten. Wichtiger sei "die Hilfe zur Selbsthilfe", also dass jeder am Wohnort einem Beruf nachgehen könne. Südtirol plant im Rahmen der Breitbandoffensive bis 2018 nahezu das gesamte Land ans Glasfasernetz anzuschließen.

So sieht das auch der Schweizer Egger. Regionalzentren müssten die Versorgung mit sozialen oder kulturellen Angeboten gewährleisten - siehe das eingangs genannte Beispiel Luzern. Dass dies Kosten verursacht, weiß Egger. Aber er fragt: "Was kostet die Urbanisierung?" In der Schweiz würden für urbane Infrastrukturprojekte über das Agglomerationsprogramm umgerechnet 13 Milliarden Euro ausgegeben, für die Regionen ein Bruchteil.

Thomas Dax - im Rahmen des EU-Projekts Edora zu den Entwicklungschancen im ländlichen Raum für Österreich Projektpartner - betont die Notwendigkeit "weicher" Maßnahmen. Neben klassischen Bildungs- und Ausbildungsinitiativen müsse man "die Personen in den Regionen befähigen, neue Initiativen zu schaffen", also die Potenziale der Bewohner einsetzen.

... "weiche" Faktoren

Konkret führt der Edora-Bericht aus Österreich beispielhaft 54 "Good practice"-Fallstudien an. Konkret etwa das 2004 gegründete "Lungauer Frauen Netzwerk". Dieses betätigt sich als Lobby für Frauen und Mädchen und arbeitet an nachhaltigen Projekten wie dem Unesco-Biosphärenpark mit. Auch Standortqualität und Abwanderung sind ein Thema: "Wir können es uns besonders in patriarchalen ländlichen Strukturen nicht mehr leisten, auf 50 Prozent des Humankapitals zu verzichten, heißt es im Projektbericht.

Die im Edora-Bericht genannte schottische Isle of Skye könnte auch für manches Alpental beispielhaft sein. Für das einstige Abwanderungsgebiet wird als Grund für die Trendumkehr neben der Landschaft auch "das Bewusstsein der gälischen Kultur" und die "regionale Identität", also "die Veränderung der kulturellen Wertschätzung" der Region hervorgehoben. (Thomas Neuhold, DER STANDARD, 6.11.2012)