Zwei Brüder im wilden Hinterland von Mississippi: Matthew Gordons "The Dynamiter" nähert sich vorurteilsfrei einer zerrütteten weißen Familie an.

Foto: Viennale

Ein schönes Beispiel für den neuen, unaufdringlichen Realismus im US-Kino.

Über die Ferien einen Aufsatz zu schreiben, damit können Lehrer ihren Schülern am letzten Schultag schon die Stimmung verderben. Auch der 14-jährige Robbie ist alles andere als erfreut über diese Ankündigung. Andererseits macht ihm Mr. Curtis auch klar, dass dies gewissermaßen seine letzte Chance sei, wurde er doch gerade bei einem Diebstahl erwischt und hat sich in den letzten Schuljahren nicht gerade durch Fleiß und Interesse hervorgetan.

Er hat aber auch genügend andere Dinge im Kopf, schließlich ist er der Herr im Haus, muss sich um seinen achtjährigen Halbbruder Fess kümmern und manchmal auch um die Großmutter. Gelegentlich schaut noch sein großer Bruder Lucas vorbei, wechselnde Frauen im Schlepptau. Immerhin macht dieser ihn darauf aufmerksam, dass ein Ferienjob keine schlechte Idee sei. Den findet Robbie schließlich nach langem Suchen an einer Tankstelle, wo er zunächst einmal das versiffte Klo auf Vordermann bringen muss.

Den anstrengenden Rhythmus eines langen Arbeitstages, der mit dem frühen Weckerklingeln beginnt, hat er bald verinnerlicht, nach dem ersten Arbeitstag spielt sogar ein Lächeln um die Lippen des untersetzten und muskulösen jungen Mannes. Seine gegenüber anderen an den Tag gelegte Aggressivität ist für ihn auch ein Selbstschutz. Schleppt ihn sein Bruder zu einem "double date" ins Kino mit, so muss das Mädchen schon seine Hand auf ihre Brust legen. Ihre Aufforderung, sie zu küssen, beantwortet er mit einem schüchternen Kuss auf die Wange: "Mouth - lips, you dummy!"

Der Film "bräuchte dringend die Art von Explosion, die der Titel nahelegt", hieß es im US-Branchenblattes Variety - damit wird gerade die spezifische Qualität von The Dynamiter ignoriert, dessen Erzählweise das Drama eher vernachlässigt. Mit seinem ländlichen Schauplatz fernab der Metropolen, dem episodenhaften Erzählen, dem Hintergrund einer zerbrochenen Familie und der vorurteilsfreien Annäherung an Menschen, die sonst oft als White Trash abqualifiziert werden, fügt er sich in jene Tradition des neueren US-Indie-Films, die drei Wiener Autoren in ihrem unlängst erschienenen Buch Real America. Neuer Realismus im US-Kino als "ein Kino der unverstellten Blicke" beschreiben. (Frank Arnold, Spezial, DER STANDARD, 6.11.2012)