Sollte Barack Obama am Mittwoch als Sieger aus der US-Präsidentschaftswahl hervorgehen, werden viele Kommentatoren das auf die Unwetterkatastrophe durch "Sandy" zurückführen. Erst sein Agieren als oberster Krisenmanager habe die Menschen wieder an den Obama erinnert, der er noch vor vier Jahren war: einer, der für "Hoffnung" stand und für eine bessere Zukunft. Während der Präsident sein Volk tröstete, konnte Herausforderer Mitt Romney nur aus der zweiten Reihe zusehen. Die vorbereitete Wahlkampfmunition der letzten Tage musste in den Schubladen der Strategen bleiben. Den Krisenmanager allzu massiv zu torpedieren ist kein Erfolgsrezept.

Trotzdem wird der Einfluss von "Sandy" auf das US-Wahlkampffinale überschätzt. Denn auch die Wähler in den USA sind sich darüber im Klaren, dass Obamas Moderation in der Katastrophe nicht vom Wahlkampf getrennt werden kann. Doch genauso wie Obama vielen Wählern nicht vormachen kann, dass es ihm bei der "Sandy"-Krisenintervention nur um das Wohl der Bürger gehe, kann Mitt Romney nicht vergessen machen, wie oft er die Wähler mit massiven ideologischen Meinungsschwenks genarrt hat. Verkürzt könnte man sagen: Als Gouverneur war er moderat, als potenzieller Kandidat der von der Tea Party geprägten Republikaner musste er den Rechtskonservativen geben, um als Kandidat von der Partei akzeptiert zu werden. Und am Ende des Wahlkampfs sollte ein erneuter massiver Positionswechsel noch die letzten Unentschlossenen einsammeln, denen die Republikaner im Prinzip zu weit rechts stehen.

Konkreter: Als Gouverneur ein Freund der Einwanderer, forderte Romney sie in den Vorwahlen auf, doch bitte einfach freiwillig zu gehen. Man werde ihnen das Leben schon so ungemütlich wie möglich machen, um ihnen diese Entscheidung zu erleichtern. Gegen Ende des Wahlkampfs wiederum schwenkte er aus Angst um die Stimmen der eingebürgerten Einwanderer auf eine moderate Linie ein. In der Außenpolitik gab er sich zuerst als Realist, dann schloss er sich der Ideologie der neokonservativen Falken an, um sich im dritten TV-Duell quasi als "Friedenstaube" zu inszenieren. Seine aktuelle Position zu "Obamacare" ist die unglaubwürdigste überhaupt, fußt das Modell Obamas doch auf einem Programm, das Romney als Gouverneur in Massachusetts eingeführt hat. Auch seine Positionen zu Abtreibung, Klimawandel, Einkommensteuer und Bankenregulierung hat der republikanische Präsidentschaftskandidat mehrfach geändert.

Romney änderte seine Einstellungen nicht ohne Konzept, natürlich nicht. Natürlich redet auch ein Obama seinem Wahlvolk nach dem Mund, um Stimmen zu sammeln. Natürlich vergessen auch seine Wähler nicht, dass er bei weitem nicht erfüllt hat, was er versprochen hatte. Der Unterschied ist allerdings, dass bei Romney die verschiedenen Positionen nicht nur leicht adaptiert wurden, sondern sich massiv widersprechen. Es ist fahrlässig anzunehmen, dass die Wähler ihm das durchgehen lassen oder gar kollektiv vergessen, dass er mal dieser und mal dieser Meinung ist. Der "New York Times"-Kolumnist Ross Douthat sagte unlängst, dass in einer Wahl nicht der Kandidat gewählt wird, den die Wähler am liebsten haben, sondern dass der verliert, den sie am meisten hassen. Mitt Romney hat mindestens so großes Potenzial als Hassobjekt wie Obama, der seiner Messias-Rolle nicht gerecht wurde. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 5.11.2012)