Das Programm der Piraten liest sich wie eine Mischung aus Ideen anderer Parteien und Forderungen von bereits festgeschriebenen Grundrechten - Na endlich!

Lange hat man den Piraten vorgeworfen, dass sie "keine Inhalte" haben und sich deswegen "nur mit sich selbst beschäftigen" können. Die Piraten stellen sich selbst hohe Ansprüche. Sie wollen ja nichts Geringeres als ein Update der Demokratie ins dritte Jahrtausend: Mehr Menschen an demokratischen Prozessen beteiligen, Korruption durch Transparenz bekämpfen, individuelle Freiheit stärken und gleichzeitig soziale Gerechtigkeit bewahren. Es sind viele langwierige Diskussionen notwendig, um viele scheinbare Gegensätze zu überwinden.

Da wirkt es wie Balsam auf der Seele, wenn nun endlich Vorwürfe zum Programm selbst kommen. So beispielsweise im Standard-Kommentar von Colette Schmidt zur Bundesversammlung der Piratenpartei : Das Programm sei nur von den Ideen anderen Parteien zusammenkopiert und ansonsten "eh" selbstverständlich.

Ein Parteiprogramm schreib ich an einem Wochenende

Von außen mag ein Parteiprogramm mit ein wenig sozialliberalem Anstrich wie kein großer Schritt wirken. Das kann man an einem ruhigen Wochenende schon mal schreiben und überschreitet vielleicht sogar die zehn Seiten. Wenn da nicht der Haken wäre, dass das Programm unter Einbeziehung möglichst vieler Menschen entstehen soll, eben basisdemokratisch.

Basisdemokratie, das haben doch schon die Grünen probiert. Ja, nur hatten sie noch kein Internet. Nach viel persönlichem Einsatz und einigem internen Hickhack haben die Piraten es geschafft: Die Infrastruktur zur Liquid Democracy steht, jeder Pirat kann mitstimmen und seit 24. September tröpfeln nun mittels Online-Abstimmungen täglich neue Programmpunkte ins Programm der Piraten (derStandard.at hat darüber berichtet).

Auf diesem Weg wurde das Programm in den letzten 35 Tagen um 93 Programmbeschlüsse reicher. Die österreichischen Piraten haben also das am schnellsten wachsende basisdemokratisch legitimierte Parteiprogramm weltweit! Das Problem der Piraten ist nicht, dass sie zu wenig oder zu ungenaues Programm haben, sondern dass sie bald sehr, sehr viel davon haben werden. Aber auch das werden sie wieder als ein gutes Zeichen deuten: Wieder eine neue Stufe erreicht, wieder müssen neue Herausforderungen gelöst werden.

Im Piratenkostüm wird man halt nicht so ernst genommen

Bleibt noch die Sache mit dem Ernstnehmen: Vertraue ich Captain Jack Sparrow einen Sitz im Gemeinderat oder gar dem Nationalrat an? Wer wählt eigentlich Menschen in die Politik, die beim Politikmachen Spaß haben?

Auch wenn man als Pirat verleitet wäre, den Medien die Schuld in die Schuhe zu schieben (Kameraleute filmen halt gerne die lustig aussehenden Piraten mit Bikerhose und Kopftuch, die Jeans-Träger und Anzug-Träger fallen da nicht so auf), so müssen die Piraten hier die Schuld bei sich selbst suchen: Der Medien-Hype im Frühjahr konnte nicht genutzt werden. Sie sind halt keine Medienprofis, die sich perfekt inszenieren wie etwa ein Herr Stronach. In den Umfragen dümpeln die österreichischen Piraten mit ein bis zwei Prozent herum. Da werden sie sich neue Konzepte überlegen müssen.

Eines ist klar: Nur an ein paar Kopftüchern wird die Piratenpartei nicht scheitern. In Deutschland sitzen die Piraten in vier Landtagen. In Berlin zogen sie vor über einem Jahr mit 8,9 Prozent ins Berliner Abgeordnetenhaus ein. Heute liegen sie in den Umfragen bei zehn Prozent und leiten den wichtigen Untersuchungsausschuss zum milliardenschweren Berliner Flughafen-Skandal.

Am Ende kommt es halt doch nicht nur drauf an, wie gut ein Wahlkampf-Marketing-Konzept ist, sondern welche Politik die Volksvertreter machen. Und Politik ist viel zu wichtig, um sich mit Oberflächlichkeiten aufzuhalten. Befassen wir uns doch lieber wirklich mit den Inhalten! (Tommi Enenkel, Leserkommentar, derStandard.at, 9.11.2012)