"Keimzelle der neuen Innovationsstrategie ist die Open-Innovation-Philosophie, also die Öffnung des Innovationsprozesses von Unternehmen hin zu einer aktiven strategischen Nutzung der Außenwelt zur Vergrößerung des eigenen Innovationspotenzials", erläutert Oliver Gassmann, Ordinarius für Technologiemanagement mit besonderer Berücksichtigung des Innovationsmanagements an der Universität St. Gallen, die Vorgehensweise, "die immer mehr Anhänger findet." Unternehmensexterne findige Köpfe – Studenten, Hausfrauen und -männer, pensionierte Ingenieure, Erfinder und Spezialisten – lösen für Unternehmen Probleme, die via Web veröffentlicht werden. Dabei würden fünf Typen von Crowdsourcing-Plattformen unterschieden:

1. Intermediäre Crowdsourcing-Initiativen, die verschiedene Parteien zusammenbringen, werden Intermediäre genannt. Die einzelnen Homepages verstehen sich als Bindeglied zwischen Fragendem und Lösendem. Den Teilnehmern winken meistens Preise oder Honorare für die Lösungsvorschläge oder für das beste, vom Auftraggeber ausgewählte Ergebnis. Vier verschiedene Typen von Intermediären stehen zur Verfügung:

  • Forschungs- und Entwicklungsplattformen Hier werden Fragen aus Forschung und Entwicklung (F&E) gelöst. Plattformen wie Tekscout, Innocentive oder Ideaconnection vernetzen Unternehmen mit Forschern und erlauben ihnen so den Zugriff auf einen enormen Wissenspool.
  • Marketing- und Designplattformen Fragen zu Marketing oder Design werden hier ausgeschrieben. Bei Crowdspring beispielsweise sind 50.000 Designer registriert, die im Wettbewerb die Gestaltung von Internetseiten, Logos oder Marketingkampagnen bearbeiten. Vergleichbare Dienstleistungen bietet 99designs mit rund 180.000 Designern an. Bei Brandtags lassen sich eigene Assoziationen zu Marken eingeben und man kann ansehen, was die Allgemeinheit dazu denkt.
  • Plattformen für Freelancer Sie bringen Unternehmen und Freelancer zur Lösung vielfältiger Aufgaben zusammen. Sie reichen vom Überprüfen von Links oder Inhalten einer Homepage bis zum Erstellen von Businessplänen oder Pressemitteilungen. Zum Beispiel bei Spudaroo.
  • Ideenplattformen Bei dieser Gruppe von Intermediären steht nicht die Qualifikation ihrer Mitglieder, sondern der Lösungsprozess für unterschiedlichste Branchen und Problemstellungen im Vordergrund. Die Mitglieder der Schweizer Plattform Atizo schaffen beispielsweise neue Geschäftsmodelle. Die 2006 an der Berliner Akademie der Künste entstandene Kreativschmiede Jovoto vernetzt weltweit schöpferische Talente.

2. Gemeinsam eine freie Lösung Im Vergleich zu den Intermediären stellt hier kein Unternehmen Fragen und bezahlt für Lösungen, sondern die freie Lösung steht jedem zur Verfügung und lässt sich über unterschiedlichste Lizenzmodelle nutzen. Zu unterscheiden sind hier zwei Gruppen:

  • Internetseiten Die Idee dieser Gruppe ist, Wissen und Können von vielen gemeinsam zu nutzen und jedermann zugänglich zu machen. Bekanntestes Beispiel ist Wikipedia. Openstreetmap bietet Alternativen zu Google Maps. Yahoo Answers beantwortet eher simple Fragen.
  • Open-Source-Software Weltweit arbeiten Programmierer an einem Softwaresystem. Software wie der Internetbrowser Firefox oder das Betriebssystem Linux gehören hierher. Die Software ist allgemein zugänglich, der Source-Code muss in der Regel offengelegt werden.

3. Unternehmenseigene Plattformen: Unternehmen mit einem bekannten Namen, die nicht auf einen der Intermediäre zurückgreifen möchten, erstellen eigene Plattformen. Unterscheiden lassen sich zwei Ausprägungen:

  • Produktideen und Problemlösungen Gesucht werden neue Produkte oder Lösungswege. Starbucks beispielsweise fragt die Kunden nach Zukunftswünschen, oder BMW ruft in der virtuellen Innovationsagentur zur Mitgestaltung des zukünftigen Autos auf.
  • Branding und Design Hier versuchen die Unternehmen, das Design- und Marketingverständnis ihrer Kunden zu nutzen. Bei Burdastyle handeln fast 300.000 Mitglieder mit Schnittmustern; bei Muji können alte Produkte überarbeitet oder neue vorgeschlagen werden, bei Osram bildete sich eine Gemeinschaft, die durch LED leuchtende Lampen entwirft.

4. Marktplätze für eigene Ideen Diese Internetseiten bieten Kreativen, Erfindungsreichen oder Erfindern die Möglichkeit, ihre Ideen oder selbstentworfenen Produkte anzubieten. Auf Spreadshirt kann jeder einen eigenen Bekleidungsshop aufmachen; auf Dreamheals selbstentworfene Pumps verkaufen; auf Createmytattoo seine Tattoo-Entwürfe zu Geld machen.

5. Öffentliche Initiativen Diese Initiativen haben das Gemeinwohl im Blick. Im Unterschied zu Wikipedia oder Openstreetmap aber haben sie einen öffentlichen Auftraggeber. Auf iBride suchen zum Beispiel Universitäten nach Innovationen.

Keine Chance ohne Risiko

"Mit Crowdsourcing entwickelt sich ein Phänomen, das durch die ständige und zunehmend mobile Verfügbarkeit des Internets an Bedeutung gewinnen wird", sagt Gassmann, eine Prognose, die er auf Fakten stützt: Heute werden pro Sekunde zwei Blogs gegründet, 30 Domains registriert, 3400 Google-Suchen gestartet und 5,3 Millionen Sofortnachrichten verschickt. " Da erscheint es nur folgerichtig, dass auch immer mehr Ideenfindungen und Problemlösungen aus dem Internet kommen!" Doch nicht allein diese verblüffenden Zahlen verweisen seiner Meinung nach auf die Notwendigkeit, das Internet "noch konsequenter als bisher" mit unternehmerischen Augen zu sehen. Immer mehr Menschen hätten Zugang zum Web. Als Folge davon sei auch die Zahl der Anbieter von Arbeitsleistung im Internet massiv gestiegen, was für Gassmann in der Konsequenz auch heißt: Wer den Kampf um die Aufmerksamkeit online gewinnt, der wird auch den anstehenden Kampf um die Talente für sich entscheiden können. Das sei ein weiterer Pluspunkt für Crowdsourcing – neben der raschen, effektiven und kostengünstigen Problemlösung, der guten Unternehmenswerbung, der Möglichkeit effizienter Kundenbindung, der Chance, verworfene Ideen wiederzubeleben und der Entdeckung latenter Kundenbedürfnisse.

Aber auch für Crowdsourcing gilt: keine Chance ohne Risiko. Doch für Gassmann "sind die Risiken handhabbar, sofern sie früh erkannt und adressiert werden." Als potenzielle Problemquellen nennt er: Unterschätzung des Aufwandes der Ideenumsetzung im Unternehmen, Reputationsrisiko bei zu geringen Preisgeldern, Motivation der externen Ideengeber, vor allem im B2B-Bereich, Partizipation am Markterfolg – Regelungen bezüglich Patenten seien zu treffen, offen zu kommunizieren.

Die aus seiner Sicht wie Erfahrung größte Barriere aber sei jedoch psychologischer Natur: die Angst, dass eigenes Know-how preisgegeben wird sowie das Not-invented-here-Syndrom. Diese Problematik erinnere ihn an die Frühphasen des Outsourcings und der strategischen Allianzen in der Produktentwicklung sowie der Forschung und Entwicklung. Aber es seien Modelle realisiert, wo Innovatoren mit einer prozentualen Erfolgsbeteiligung belohnt würden, werde der Lösungsvorschlag am Markt realisiert. Gassmann ist überzeugt: "Solche Ansätze werden die Innovatoren-Community zunehmend erweitern und professionalisieren, da sie ganzen Expertenteams und Unternehmen erlauben, viel Zeit in eine Lösungseingabe zu investieren." (Hartmut Volk, DER STANDARD, 3./4.11.2012)