Bild nicht mehr verfügbar.

Aus der Vogelperspektive wird das ganze Ausmaß der Schäden, wie hier in Mantoloking, ersichtlich.

Foto: AP/dapd/Mills

An der US-Ostküste waren offiziellen Angaben zufolge Donnerstagabend noch immer fast 3,5 Millionen Menschen ohne Strom. Behörden und Fachleute in neun US-Bundesstaaten sind damit beschäftigt, den öffentlichen Verkehr und die Elektrizitätsversorgung wieder in Gang zu bringen. Bis der Strom zurückkehrt, kann es nach Angaben des Versorgers in einigen Gegenden noch bis zu zwei Wochen dauern.

Drei Kernkraftwerke in den Unwettergebieten bleiben bis auf weiteres abgeschaltet, nur der Reaktor Indian Point soll bereits in den kommenden Tagen wieder ans Netz gehen.  Berichte über Ähnlichkeiten mit dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima wies Neil Sheehan, Sprecher der Atomaufsichtsbehörde NRC in Pennsylvania, zurück: "Die Reaktoren, die abgeschaltet wurden, haben keinerlei Komplikationen aufgewiesen." Unter anderem war im ältesten Atomkraftwerk der USA Alarm ausgelöst worden, weil der Pegel im Kühlwasser-Reservoir durch die reguläre Flut, die Windrichtung und das Hochwasser extrem angestiegen war.

Fast 100 Tote geborgen

Die Zahl der Todesopfer in den USA ist indes weiter gestiegen. Bis Donnerstag wurden nach offiziellen Angaben 98 Leichen geborgen, darunter 40 in New York. Allein im Stadtteil Staten Island, der am Montag von einer Flutwelle überrollt worden war, kamen 20 Menschen ums Leben. Heimatschutzministerin Janet Napolitano wollte Staten Island am Freitag besuchen. Dort sind Klagen von Einwohnern laut geworden, der gegenüber Manhattan liegende Bezirk sei von der Politik vergessen worden. Bilder aufgebrachter Bürger könnten kurz vor den Wahlen am Dienstag die Pläne der Politiker durchkreuzen.

Und noch hat sich die Wetterlage nicht beruhigt: Der Sturm trieb gewaltige Schneemassen über das Gebiet der Großen Seen und näherte sich Kanada.

Hilfsangebote aus aller Welt

Aus aller Welt gibt es Spenden und Hilfsofferte. Auch Kuba und der Iran haben Unterstützung angeboten. Der verheerende Wirbelsturm "Sandy" hat eine weltweite Welle der Hilfsbereitschaft für New York und die US-Ostküste ausgelöst. In Amerika spendeten zahlreiche Bürger, Unternehmen und Prominente bereits fast 20 Millionen Dollar (rund 15 Millionen Euro). Selbst politische Feinde der USA zeigten sich großmütig: Iran bot die Entsendung von Flutexperten an, Kuba - selbst schwer betroffen - kondolierte.

Am Freitag ist in New York ein Benefiz-Konzert mit Stars wie Jon Bon Jovi, Sting und Bruce Springsteen geplant. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sprach den Betroffenen sein Mitleid aus und bot die Hilfe der Vereinten Nationen an. Die UN, deren Hauptgebäude in New York ebenfalls beschädigt wurde, hatten am Donnerstag den Betrieb wieder aufgenommen, nachdem sie zuvor zum ersten Mal in ihrer Geschichte für drei Tage am Stück geschlossen gewesen waren.

Allein beim Roten Kreuz kamen in den USA bis Mittwoch mehr als elf Millionen Dollar (etwa 8,5 Millionen Euro) an. Medienmogul Rupert Murdoch spendete ebenso wie die Autobauer Toyota und Ford. Auch der Volkswagen-Konzern stellte eine halbe Million Dollar zur Verfügung. Das Geld soll laut VW zur Finanzierung von Unterkünften, Zelten, Nahrung und Hilfe für notleidende Familien in den betroffenen Gebieten genutzt werden. Allein in New York verteilte die Nationalgarde rund eine Million Essen und große Mengen Trinkwasser an die Opfer des Sturms.

Leben in New York normalisiert sich

Unterdessen normalisiert sich das Leben im "Big Apple" langsam wieder: Die Flughäfen sind geöffnet, die ersten U-Bahnen fahren - aber noch sind Zehntausende ohne Strom und Wasser. Immerhin fuhren am Donnerstag in New York wieder die ersten U-Bahnen. Heute sollen weitere U-Bahnlinien in Betrieb gehen. Am Wochenende sollten auch die Parks und Spielplätze wieder aufmachen.

Zwischen Manhattan auf der einen und Brooklyn und Queens auf der anderen Seite des East Rivers verkehren aber noch keine Züge, weil die Tunnel nach wie vor vollgelaufen sind. Immerhin: Bis einschließlich Freitag fahren alle Busse, Bahnen und auch Vorortzüge kostenlos. Zudem müssen nach Anordnung des Bürgermeisters in allen Autos, die über die Brücken nach Manhattan fahren, mindestens drei Insassen sitzen.

In Staten Island kamen in der vergangenen Nacht zehn Transporter des Roten Kreuzes mit Trinkwasser und Medikamenten zur Versorgung der Menschen an. Nach Angaben des Weißen Hauses sollten am Freitag Regierungsvertreter eintreffen, um mit den Kommunalpolitikern Lösungen zu erarbeiten.

In den weiterhin von der Stromversorgung abgeschnittenen Vierteln New Yorks wurde indes eine fehlende Polizeipräsenz kritisiert. Einwohner äußerten sich besorgt über die Sicherheit auf den Straßen und in den U-Bahnen. Auf den Straßen Manhattans patrouillierten Mitglieder der Guardian Angels, einer Freiwilligentruppe, die sich den Kampf gegen die Kriminalität zum Ziel gesetzt hat.

Erst die Fluten, dann das Feuer

Manche Gegenden in New York sähen aus wie London oder Dresden nach den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg, beschrieb Bürgermeister Michael Bloomberg seine Stadt. Besonders schwer traf es Breezy Point, ein nettes Viertel direkt am Atlantik gelegen. Zuerst kamen die Fluten, dann das Feuer, wahrscheinlich ausgelöst durch Kurzschlüsse. Mehr als 80 hölzerne Häuser brannten nieder.

Für seine Entscheidung, den berühmten New-York-Marathon (47.000 Läufer) am kommenden Sonntag nicht abzusagen, wurde Bloomberg heftig kritisiert. "Ich verstehe, dass der Marathon der lokalen Wirtschaft Einnahmen bringt, aber seien wir ehrlich, er bindet erhebliche Kräfte. In keinem der Bezirke läuft es auch nur annähernd normal", sagte die Senatorin des Bundesstaates New York, Liz Krueger, der "New York Times".

Die wirtschaftlichen Ausfälle kosten allein die Stadt New York jeden Tag Hunderte Millionen Dollar.

Stockfinster

Bis der Strom zurückkehrt, kann es nach Angaben des Versorgers in einigen Gegenden noch bis zu zwei Wochen dauern. Das südliche Drittel von Manhattan ist auch nachts nach wie vor in weiten Teilen wegen der Stromausfälle stockfinster. An der gesamten Ostküste waren mehr als sechs Millionen Haushalte und Betriebe von der Stromversorgung abgeschnitten, besonders betroffen waren die Bundesstaaten New York und New Jersey.

Die Gegend südlich des Empire State Buildings in New York war am stärksten von den Überflutungen betroffen. In dem Stadtteil liegen auch der Ground Zero mit dem neuen World Trade Center und die Wall Street. Die Börse handelt seit Mittwoch aber wieder.

Der Energiekonzern Shell bestätigte, dass "Sandy" mindestens zwei seiner Dieseltanks zerstört habe, aus denen nun Treibstoff in New Yorks Gewässer laufe. Die genaue Menge stehe noch nicht fest. Der Fernsehsender CNN berichtete, mehr als 110.000 Liter Diesel seien ausgelaufen.

Suche nach "Bounty"-Kapitän eingestellt

Die US-Küstenwache hat die Suche nach dem vermissten Kapitän des im Sturm in Seenot geratenen Filmschiffs "Bounty" aufgegeben. "Das ist eine der härtesten Entscheidungen, die wir fällen müssen", sagte Sprecher Doug Cameron in einer Mitteilung am Donnerstag.

Die Suche habe insgesamt 90 Stunden gedauert, aber von dem 63-Jährigen aus dem Bundesstaat Florida, der seit mehr als 20 Jahren Kapitän der "Bounty" gewesen war, fehlte weiter jede Spur.

Das Filmschiff war am Montag vor der US-Küste in Seenot geraten und später gesunken. 14 der 16 Crew-Mitglieder wurden in einer dramatischen Rettungsaktion von der Küstenwache in Sicherheit gebracht. Eine 42 Jahre alte Frau, die kurz darauf bewusstlos aus dem Wasser gezogen wurde, starb später in einem Krankenhaus.

Wahlkampf wieder aufgenommen

Der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney nahm am Mittwoch mit Auftritten in Florida den Wahlkampf wieder auf, verzichtete aber auf scharfe Attacken gegen Obama. Zudem warb er um Spenden für die Opfer des Sturms.

Obama wollte am Donnerstag seinen Wahlkampf wieder aufnehmen. Bei einem Besuch in New Jersey sagte er am Mittwoch den Sturmopfern langfristige Hilfe zu. "Wir werden langfristig zur Verfügung stehen", sagte Obama in einer Notunterkunft in Brigantine, wo er mit Opfern des Wirbelsturms sprach. Zudem werde er "keinerlei Bürokratie" dulden.

Nach Schätzungen der Bundesbehörden verursachte "Sandy" im Osten der USA einen Gesamtschaden von 20 Milliarden Dollar. Der auf Risikoanalysen spezialisierte Versicherungsdienstleister Eqecat ging sogar von einem volkswirtschaftlichen Schaden zwischen 30 und 50 Milliarden Dollar aus. Der Gouverneur des Bundesstaates New York, Andrew Cuomo, bezifferte in einem Brief an Obama die Kosten für die Millionenmetropole am Hudson auf insgesamt sechs Milliarden Dollar (4,6 Milliarden Euro). (APA/red, DER STANDARD, 2.11.2012)