Griechenland mag kurz vor einer Einigung mit der Troika über weitere milliardenschwere Hilfszahlungen stehen, und die Regierung hat eine weitere schwierige Abstimmung über ihr Spar- und Privatisierungspaket im Parlament überstanden. Aber an einer anderen Front erlebt das Land gerade ein politisches und moralisches Fiasko, das es noch teuer zu stehen kommen wird.

Der Prozess gegen einen Magazin-Herausgeber, der eine Liste der Namen von 2059 Griechen, die ein Konto bei der HSBC in Genf haben oder hatten, veröffentlicht hat, ist ein Tiefpunkt für die politische Kultur des Landes und bestärkt alle Kritiker sowohl des Sparkurses als auch der Hilfsprogramme für das bankrotte Land.

Schon vor zwei Jahren hat Griechenland die aus dem Computersystem der britischen Bank gestohlene Liste von der damaligen französischen Finanzministerin Christine Lagarde erhalten - mit der Aufforderung, dem Verdacht der Steuerhinterziehung nachzugehen. Ein Finanzminister reichte sie an den nächsten weiter, der sie in einer Schublade verschwinden ließ.

Es stimmt, dass es keine Beweise gibt, dass die Menschen auf der Liste - darunter auch Politiker und andere Prominente - tatsächlich Steuern hinterzogen oder andere Gesetze gebrochen haben. Aber dass die Behörden dem Verdacht gar nicht nachgegangen sind, macht eines deutlich: Das Land ist in den Fängen einer korrupten Elite, der es wichtiger ist, die eigenen Leute zu schützen als das Land zu sanieren oder auch nur effizient zu regieren.

Deutschland ist in einer ähnlichen Situation massiv, ja fast schon brutal, gegen einflussreiche Bürger wie den ehemaligen Postchef Klaus Zumwinkel vorgegangen und hat damit klargestellt, dass die Steuergesetze für alle gelten. Der Ankauf gestohlener CDs mit privaten Kontendaten aus der Schweiz ist juristisch umstritten, aber es ist ein entscheidender Schritt, um die Steuermoral und die Rechtstaatlichkeit zu festigen. Er illustriert, warum die deutsche Gesellschaft und Wirtschaft so erfolgreich sind.

Griechenland tut das Gegenteil. Die Politik und die Justiz lässt die Schuldigen an der schrecklichen Krise ungeschoren und verfolgt jene mutigen Journalisten, die die Skandale aufzudecken versuchen.

Womöglich hat der Herausgeber von "Hotdoc", Kostas Vaxevanis, tatsächlich gegen griechische Datenschutzgesetze verstoßen. Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, wie Unternehmer, Freiberufler, und Politiker die Gesetze und Normen mit Füßen getreten haben. Auch die Suspendierung von zwei regierungskritischen TV-Moderatoren passt in dieses Bild einer korrupten Staatsführung.

Die grassierende Steuerhinterziehung ist eines der wichtigsten Gründe dafür, dass der Staat überschuldet und die Wirtschaft am Boden ist. Zumindest einen Teil der gestohlenen Milliarden müsste sich die Regierung Samaras von diesen Leuten holen - schon allein aus ethisch-symbolischen Gründen.
Stattdessen geschieht gar nichts. "Griechenland schont seine Reichen" titelt der "Spiegel" und beschreibt, wie die Elite des Landes ihr Einkommen systematisch kleinrechnet.

Kein Wunder, dass die einfachen Leute empört auf die Straße gehen, wenn sie nun zu großen finanziellen Opfern aufgefordert werden? Und wie soll die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ihren Mitbürgern beibringen, dass bald echtes Steuergeld nach Griechenland fließen muss, um dem unvermeidlichen Schuldenschnitt zu finanzieren, wenn die Griechen selbst ihren Beitrag zur Sanierung nicht leisten wollen?

Der Prozess gegen Vaxevanis am Donnerstag ist deshalb entscheidend für die Zukunft des Landes. Ein Freispruch, oder zumindest eine ganz milde Strafe, gefolgt von einer konsequenten Untersuchung aller Namen auf der Liste würde dem eigenen Land und dem Rest der Welt signalisieren: Wir ändern uns, wir meinen es ernst.

Aber wenn Premier Antonis Samaras und seine Justiz dabei bleibt, die Vertreter der Zivilgesellschaft und des Wandels zu verfolgen und nichts gegen die Ausplünderung der eigenen Nation zu tun, dann können alle Sparprogramme und Hilfspakete das Land nicht retten. (Eric Frey, derStandard.at, 31.10.2012)