Ankara/Berlin - Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat vor den Folgen einer zu langen Verzögerung des EU-Beitritts seines Landes gewarnt. Auf die Frage, ob die Türkei 2023 ein Mitgliedsstaat der Union sein werde, sagte Erdogan am Dienstagabend in Berlin: "So lange wird man uns nicht hinhalten. Aber sollten sie das tun, dann wird die Europäische Union verlieren, zumindest die Türkei".

Erdogan hatte zuvor die neue türkische Botschaft in Deutschland eröffnet. Am Mittwoch soll die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ihn im Berliner Kanzleramt empfangen. Merkel sieht eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU skeptisch und spricht sich für eine privilegierte Partnerschaft aus. Bisher hat die Türkei lediglich eines von 35 Verhandlungskapiteln für den EU-Beitritt abgeschlossen, und die EU-Kommission sieht das islamische Land bei Menschenrechten und Meinungsfreiheit bisher nicht als beitrittsreif an.

Der türkische Regierungschef warb in Berlin für einen EU-Beitritt seines Landes. Selbstbewusst bot er auch Hilfe in der Euro-Krise an. "Wir erstarken von Tag zu Tag", sagte er. Die Türkei werde jeden Beitrag leisten, damit die Euro-Krise überwunden werden könne. Sein Land werde keine Belastung für die EU sein. "Wir kommen, um Last zu übernehmen", sagte Erdogan. 

Europaminister gegen Zwischenlösung

Am Mittwoch hat sich der türkische Europaminister Egemen Bagis in der Frage des EU-Beitritts gegen jede Zwischenlösung ausgesprochen. "Die Türkei will Vollmitglied werden und wird sich auf etwas anders nicht einlassen, sagte er am Mittwoch in Berlin am Rande des Besuchs von Erdogan. Eine "privilegierte Partnerschaft" lehnte Bagis ab. "Das bringt uns zum Lächeln", sagte er bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer- Stiftung.

Bagis betonte, das Land bemühe sich schon seit 1959 um eine Mitgliedschaft. Von Anfang an habe die Annäherung an die EU als Motivation für Reformen gewirkt. "Die heutige Türkei ist nicht mehr die Türkei von damals", sagte er. Das Land habe heute die am schnellsten wachsende Wirtschaft Europas.

Zur Kritik am Status religiöser Minderheiten in der Türkei sagte Bagis, die Lage sei heute so gut wie nie zuvor. Die Türkei könne auch Vorbild für die Reformen in den arabischen Ländern sein. Für die über 100.000 syrischen Flüchtlinge in seinem Land forderte der Minister mehr Unterstützung der Verbündeten. Es müsse aber auch auf internationaler Ebene, etwa im UN-Sicherheitsrat, mehr getan werden, um die Menschenrechtsverletzungen in Syrien zu stoppen. (APA, 31.10.2012)