Michaela Binder forscht derzeit am British Museum.

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Knochen verraten vieles über Verstorbene - über Herkunft, Lebensgrundlage genauso wie Ernährungsgewohnheiten, selbst wenn ihr Tod schon lange zurückliegt. Die Osteoarchäologin Michaela Binder kann aus diesen unmittelbaren menschlichen Zeugnissen lesen: "Dort steht, ob die Person Mann, Frau oder Kind war, wie alt sie zum Zeitpunkt des Todes war. Knochen zeigen Krankheiten an und sagen etwas darüber aus, ob und wie jemand körperlich aktiv war."

An der britischen Durham University untersucht die Doktorandin im Rahmen eines umfassenden multidisziplinären Forschungsprojekts des British Museum ("Health and Diet in Ancient Nubia through Climate and Political Change") 170 Skelette aus dem antiken Amara West, dem heutigen Nordsudan. Die Gräber stammen aus der Zeit, als Amara Hauptstadt der von Ägypten besetzten Provinz Obernubien war (zwischen 1500 und 1070 v. Chr. ) und aus den folgenden drei Jahrhunderten, als es zu politischen Umwälzungen und klimatischen Schwankungen kam.

"Anhand von krankhaften Veränderungen, Sterbealter und Körpergröße versuche ich abzuleiten, ob und wie sich diese Veränderungen auf Gesundheit und Lebensbedingungen der Menschen ausgewirkt haben. Aus stabilen Kohlenstoff- und Stickstoffisotopen der Knochensubstanz will ich mehr über die Nahrungsgewohnheiten herausfinden", erklärt die 30-jährige Kremserin.

Skelette im kulturellen Kontext

Neben zwei Friedhöfen wird auch die Siedlung untersucht, um ein möglichst detailliertes Bild des Ortes und seiner Bewohner zu zeichnen. Bei der Skelettanalyse muss immer der kulturelle Kontext einbezogen werden, die Domäne der Archäologie. Wenn aber Friedhöfe ausgegraben werden, sollte immer ein Anthropologe mit fundiertem Anatomiewissen vor Ort sein.

"So kann bei Mehrfachbestattungen die Vermischung von Skeletten vermieden werden. Wenn diese zudem nicht gut erhalten sind, kann im Grab viel dokumentiert werden, was sonst verlorengeht", benennt Michaela Binder eine Stärke ihres Fachs. Sie studierte Humanbiologie sowie Ur- und Frühgeschichte an der Uni Wien. Um ihre wissenschaftliche Ausbildung gezielt weiterzuführen, ging sie 2010 ins Ausland. Dort lernt sie vor allem "groß" zu denken, naturwissenschaftliche Techniken stärker einzubeziehen und sich intensiver mit sozial- und kulturwissenschaftlicher Theorie auseinanderzusetzen.

In Wien hat sie an mehreren historischen Friedhöfen gearbeitet, wo sie besonders den Bezug zur eigenen Geschichte schätzte. Für die Erhaltung der Knochen ist die Beschaffenheit und chemische Zusammensetzung des Bodens ausschlaggebend, sagt Binder, weniger die Liegezeit.

Neugier, Passion, Idealismus, Flexibilität und viel Geduld nennt sie als mentale Voraussetzungen für ihren Job. Immer im Rucksack hat die Knochenfachfrau neben Arbeitsutensilien den iPod, "für lange Stunden allein in Erdlöchern". Für den Sudan packt sie zudem Schokolade ein, die es dort nicht gibt. Ihre Förderung durch den Leverhulme Trust läuft noch bis Herbst 2013. Obwohl längerfristig planen in diesem Bereich schwierig ist, würde sie zum wissenschaftlichen Arbeiten später gerne nach Österreich zurückkehren. (Astrid Kuffner, DER STANDARD, 31.10.2012)