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Millimetergroße Hautstücke von den Füßen der Diabetiker reichen, um eine heimtückische Small-Fibre-Neuropathie diagnostizieren zu können.

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Wissenschafter suchen nach neuen Ansätzen für eine bessere Betreuung der Patienten.

Man kennt ja das Gefühl, wenn der Kopf beim Schlafen längere Zeit in der Ellenbeuge liegt und der Arm kribbelt, ja sogar taub wird. Sobald man sich in eine andere Lage bringt, verschwindet es so rasch wie es aufgetaucht ist. Bei der diabetischen Neuropathie, einer Nervenschädigung, können beide Füße für lange Zeit eingeschlafen sein. Betroffene berichten davon, dass es sich wie zu enge Pelzschuhe anfühlt, dass sie Hitze und Druck an den Füßen kaum spüren, manchmal aber auch völlig unerklärliche Schmerzen haben.

So lästig dieses Leiden ist, es macht die Diabetiker wachsam, was ihre Füße betrifft. Viele Zuckerkranke haben gar keine Symptome und nur ein ab und zu auftretendes taubes Gefühl, weshalb sie Druckstellen und Verletzungen übersehen. Aus Wunden können, wenn sie falsch versorgt werden, Geschwüre entstehen. In diesem Fall stirbt häufig Gewebe ab und dann droht die Amputation der betroffenen Zehen oder des ganzen Vorderfußes.

Giftige Dämpfe

Um diese Spätfolgen des Diabetes zu verhindern, feilt man an besseren Methoden zur Diagnose der Neuropathie. Sind nämlich kleine Nervenfasern (small fibre neuropathy) betroffen, dann reichen dafür elektrophysiologische Methoden, die die Nervenleitgeschwindigkeit testen, nicht aus. Daher ist man dazu übergegangen, aus fünf bis sechs Millimeter großen, von Diabetikerfüßen entnommenen Hautstanzen diese kleinen Nervenfasern zu zählen. Referenzwerte hat man durch die Haut von gesunden Testpersonen erhalten. Bisher wurde dafür eine Substanz verwendet, die hochgiftige Dämpfe verursacht. Im Labor konnte man nur unter einem speziellen Abzug arbeiten.

Eva Dassler, Absolventin des Masterlehrgangs Biomedizinische Analytik an der FH Campus Wien, hat in ihrer Masterarbeit eine alternative Untersuchungsmethode vorgeschlagen und dafür eine Auszeichnung der Forschungsgesellschaft Neuropathologie Österreich erhalten. In ihrem Projekt an der Med-Uni Wien zeigte sie, dass man die Hautstanzen auch mit anderen, nicht giftigen Materialien bearbeiten kann, die die Fasern sichtbar machen.

Die millimetergroßen Hautstücke werden mit einer Paraffinlösung durchtränkt und tiefgefroren. Danach färbt man sie mit Fluorochromen. So wird organisches "Material" zum Leuchten gebracht, wenn es von Licht mit bestimmter Wellenlänge bestrahlt wird. Im Fluoreszenzmikroskop erkennt man die Nervenfasern der Probe und kann sie zählen. Was für die Etablierung dieser Methode freilich noch fehlt, ist ein Referenzwert, mit dem die Labors vergleichen können. Dazu müsste eine große Studie mit Diabetikern und gesunden Probanden durchgeführt werden. Ob dann der Einzug in die tägliche Routine gelingt, muss die Zukunft zeigen.

Die diabetische Neuropathie entwickelt sich meistens durch länger andauernde schlechte Zuckereinstellung, wenn also der HbA1c, die durchschnittliche Sättigung des Blutes mit Zucker, zu hoch ist. Bei Zuckerkranken sollte er nicht über acht Prozent (180 mg/dl) liegen.

Fachärzte gehen davon aus, dass zumindest jeder dritte Diabetiker neuropathische Füße hat. Manche glauben sogar, dass die Häufigkeit dieser nicht sichtbaren Erkrankung mittlerweile bei 50 Prozent liegt.

Diese Schätzung legt den Verdacht nahe, dass nicht jeder Diabetiker mit Neuropathie "schlecht eingestellt" ist, sondern dass diese Nervenschädigung in vielen Fällen zu einer Begleiterscheinung geworden ist.

Sind Operationen an den Füßen unausweichlich, dann ist bei der Behandlung natürlich etwas schief gelaufen. Aber auch dann kann man noch die herkömmlichen Methoden optimieren, wie der Anästhesist Marcel Rigaud von der Med-Uni Graz sagt. Er erzählt, dass allein in der steirischen Landeshauptstadt pro Woche ein bis zwei chirurgische Eingriffe an den Füßen von Diabetikern durchgeführt werden müssen.

Lokale Betäubung

In einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt will er nachweisen, dass die lokale Betäubung für Zuckerkranke mit Neuropathie völlig sicher sein kann. Bisher ging man zwar davon aus, dass Vollnarkosen für Typ 2 Diabetiker, die nicht selten übergewichtig sind und Bluthochdruck haben, Risiken mit sich bringen. Man hatte aber auch gleichzeitig Sorge, durch Regionalanästhesie in den Füßen Nerven zu verletzen und die Neuropathie zu verschlimmern.

Denn möglicherweise könnte die Distanz zum Nerven bei der vorausgehenden Nervenstimulation durch Stromimpulse, die zur Lokalisation verwendet wird, überschätzt werden. Mit der ultraschallgestützten lokalen Betäubung, die von österreichischen Ärzten am Wiener AKH entwickelt wurde, erkennt Rigaud auch diese Details und kann so nah wie möglich an einen Nerv herankommen, ohne ihn zu verletzen. Rigaud will aber von dieser genauen Untersuchung auch Rückschlüsse auf die nach wie vor übliche Nervenstimulation ziehen. "Es muss für Diabetiker genaue Grenzwerte geben, damit auch die Anästhesisten, die nicht das Ultraschall-Equipment zur Verfügung haben, die Distanz zum Nerven sicher abschätzen können."

Rigaud kooperiert in seinem Projekt mit Gerd Köhler, dem Leiter der diabetischen Fußambulanz der Grazer Uniklinik. Dieser wird nicht müde zu betonen, dass die beste Behandlung die Vorbeugung durch regelmäßige Kontrolle der Füße von Diabetikern ist - auch von jenen, die gut " eingestellt" und daher im grünen Bereich der Blutzuckersättigung sind. (Peter Illetschko, DER STANDARD, 31. 10.2012)