Analoge Landschaften: Nicolas Rey beschäftigt sich mit Günther Anders' Roman "Die molussische Katakombe".

Foto: Viennale

Der Roman Die molussische Katakombe von Günther Anders ist eine der eigenwilligsten Allegorien auf das 20. Jahrhundert, auf die Ära der totalitären Regimes, die in den 30er-Jahren, als Anders diesen Text schrieb, erst in Umrissen erkennbar war. Zwei Inhaftierte, Olo und der jüngere Yegussa, erzählen einander da in einer nachtschwarzen Zelle in dem imaginären Land Molussien Geschichten, in denen das Wissen des Widerstands niedergelegt ist. Von einem Diktator namens Burru ist die Rede, der sich Legitimation durch eine Wahl verschaffen möchte, bei der es nicht um die Alternative zwischen zwei Optionen geht, sondern um die Verknüpfung seiner Macht mit positiv besetzten Themen: "Nicht ODER, sondern UND wollen die Menschen." Oder vom Intellektuellen Mee, der Rache an der Wahrheit nimmt und sich auf das Beweisen von Unwahrheiten verlegt.

Der französische Experimentalfilmer Nicolas Rey hat diesen posthum von Gerhard Oberschlick herausgegebenen Text (2012 erschien eine neue Ausgabe bei C. H. Beck) nun zur Grundlage eines Films gemacht, der im Titel mit dem Pseudonym Günther Anders spielt: autrement, Molussie. Molussien erscheint hier noch einmal anders als in dem Text, der hier auf der Tonspur in Ausschnitten eingelesen wird.

Unwillkürlich stellt sich die Frage, wie sich die Bilder dazu verhalten, die Rey aufgenommen hat und in denen Christa Blümlinger "ein Aufeinandertreffen von Marguerite Duras und Michael Snow" erkannte. Es sind Hafenszenen, Aufnahmen von Industrie- und Gewerbearchitektur, Wiesen, durch die der Wind fährt. Keine spezifischen Bilder also, sodass es eher auf deren materielle Beschaffenheit ankommt: Penibel vermerkt Rey am Ende jedes Kapitels, auf welchem Filmmaterial gedreht wurde und welche Apparate zum Einsatz kamen (ein Zephyrama zum Beispiel, bei dem der Film jeweils so schnell durch die Kamera läuft, wie es der aktuellen Windstärke entspricht).

Das sind latent sinnlose Techniken, die aber darauf verweisen, dass es in dem Film um eine Widerstandspraxis gegen das digital werdende Kino geht. Die neun Kapitel von autrement, Molussie, die in zufälliger Reihenfolge projiziert werden sollen, ergeben in Summe ein offenes Stück Handarbeit, "hergestellt im L'Abominable" (so der sprechende Name des Kopierwerks, das ein paar Unentwegte in Paris betreiben: ein Labor des " Scheußlichen". Es ist finster da unten, das einfallende Licht bricht sich in einem groben Korn. Wir hören ins Schwarze. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 31.10./11.1.2012)