Einer, der durchs Leben wandert, ohne irgendwo anzukommen: Isabel de Castro und Pedro Hestnes, der die Titelfigur aus Manuel Mozos' "Xavier" verkörpert.

Foto: Coleção Cinemateca Portuguesa - Museu do Cinema

Filmemacher Manuel Mozos, 1959 in Lissabon geboren, erforscht in seinen Arbeiten ein durchaus zwiespältiges Portugal.

Foto: Viennale

Zu entdecken ist das Werk eines Eigensinnigen, der ein Land einsamer Menschen und ideeller Ruinen beschreibt.

Ein magischer Schnitt, der eine Figur mit sich reißt und eine andere allein zurücklässt, steht am Beginn von Manuel Mozos' Spielfilm Xavier. Eine Mutter hat ihr Kind soeben in klösterliche Obhut übergeben, sie verlässt das Waisenhaus, ein Zug fährt vorbei, sie ist verschwunden - und der Sohn, Xavier, im nächsten Bild schon erwachsen. Der Mangel wird dem Film mit dieser Szene gleichsam eingeritzt. Das Ausgeschlossensein bei gleichzeitiger Sehnsucht, zu einer familiären Ordnung zu gehören, zum Symptom.

Xavier ist wohl jener Film, der den portugiesischen Regisseur Manuel Mozos am besten charakterisiert. Es hat zwölf Jahre gedauert, ihn fertigzustellen, da die Koproduktionsfirma kurz vor Fertigstellung pleiteging. Nicht wenige Kenner des portugiesischen Kinos behaupten, Mozos' Karriere, die nie wirklich abhob, hätte eine gänzlich andere Entwicklung genommen, wäre der Film wie vorgesehen Anfang der 1990er-Jahre ins Kino gekommen. Dann nämlich wäre er wohl als Vorreiter einer neuen Filmgeneration erkannt worden - von Regisseuren wie Teresa Villaverde, Pedro Costa, João Pedro Rodrigues oder Miguel Gomes. Letzterer hat das Viennale-Special kuratiert.

Wie schon in Mozos' Debütfilm Um Passo, Outro Passo e Depois ..., der mit einem einzelgängerischen Schulwart einen Außenseiter ins Zentrum rückt, ist auch Xavier das indirekte Porträt eines Landes, das an einer unbestimmbaren Lähmung laboriert. Der Schauspieler Pedro Hestnes, der im vergangenen Jahr im Alter von nur 49 Jahren gestorben ist, verleiht einer orientierungslosen Generation ein Gesicht: Er legt die Titelfigur als sanftmütigen, introvertierten Mann an, der weder beruflich noch privat die erhoffte Beständigkeit findet.

Mit dem Kopf in der Sonne

Entsprechend situativ, auf Momenten verweilend und dabei Risse betonend, entwirft Mozos das Geschehen. Mit gezügelter Eleganz begleitet die Kamera Xaviers ständige Jobwechsel, seine Besuche bei seinem Paten, schließlich auch bei der Mutter, die in einer geschlossenen Anstalt lebt. Oft sind kleine Gesten voll Intensität: Etwa wenn Xavier, die Mutter nachahmend, den Kopf in die Sonne streckt - denn sich mit ihr unterhalten, kann er nicht. Umgekehrt werden dann gravierende Ereignisse wie Todesfälle sehr beiläufig behandelt.

Xaviers Passage durchs Leben ist keine, die an ein Ziel gelangt, sich irgendwann vom Ende aus rechtfertigt. Vielmehr hat es den Anschein, dass hier hinter den Erscheinungen eine Macht waltet, die immerzu dafür sorgt, dass sich im Kreise der Figuren nichts schlichtet, etwas offen bleibt. Sie reagieren darauf mit einer Gelassenheit, die bisweilen nahe an Resignation reicht.

... Quando Troveja (zu Deutsch: ... Wenn es donnert) erzählt von einer vergleichbaren Stagnation. Zu Beginn gibt es mit dem Staudamm, auf dem die drei zentralen Charaktere zusammentreffen, ein treffliches Bild für diesen inneren Zustand. António, in mittleren Jahren, leidet unter der Verletzung, von seiner Freundin Rute, die mittlerweile mit einem anderen zusammenlebt, verlassen worden zu sein. Er trinkt, schläft schlecht, weidet sich in Selbstmitleid. Als jemand in einem Lokal plötzlich umfällt, sagt er spontan, das hätte er sein können.

...Quando Troveja, acht Jahre nach Xavier entstanden, ist lichter, ironischer, aber ähnlich fragmentarisch erzählt. Mit einem fantastischen Paar, Violeta und Gaspar, die als Kinder voneinander ferngehalten wurden, fügt Mozos noch eine Art Korrektiv zur realen Ebene ein: zwei Feenwesen, die in Höhlen schlafen und durch künstliche Waldkulissen ziehen; die Menschen um sie herum kommentieren sie zwar, doch sie erfüllen auch nicht die romantischen Ideen, an denen die "richtigen Figuren" scheitern.

Die Aufsplittung der "einen" Wirklichkeit eines Films in mehrere Zeit-, Spiel- und auch Bewusstseinsebenen kommt bei Mozos auch beim Dokumentarfilm zum Tragen. Ruínas, sein jüngster Film, ist ein filmischer Essay über verfallende Bauwerke und damit auch einer über nicht eingelöste Utopien. Zum Auftakt sieht man zwei Hochhäuser nebeneinanderstehen, von denen dann eines gesprengt wird. Die Außen- und Innenansichten der folgenden Häuser werden von fragmentarischen Erzählungen aus dem Off begleitet, die diese gespenstisch mit Präsenz füllen.

In Cinema Português (...)? schließlich liefert Mozos seine eigene, in Widerstreit mit dem langjährigen Cinemathek-Leiter Joâo Bénard da Costa gehaltene Montage des portugiesischen Kinos. Dies ist keine didaktische, linear aufgebaute Lektion, sondern ein sprunghafter Essay, der - gleich seinen Spielfilmen - überraschende Anschlüsse sucht. Im Zwischenspiel der Formen, im Zusammenstoß der Ideen findet auch Mozos' eigensinniges Kino zu sich selbst. (Dominik Kamalzadeh, Spezial, DER STANDARD, 31.10./1.11.2012)