Während Eigi (l.) und Pichler aus "Saturday Night Fever" mittlerweile zu Stars geworden sind, ringen andere nur um kurze Aufmerksamkeit.

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Ich gestehe: Ich habe eine Affinität zu Trash: So, wie andere Leute Horrorfilme oder Ballerspiele schätzen, ohne das im echten Leben probieren zu wollen, sehe ich "Saturday Night Fever", "Frauentausch" & Co . Solange ich alle zehn Minuten Pause machen kann.

Ich bin nicht allein. Wenn Tara (ein Starlet aus "Saturday Night Fever", kurz SNF) in Saint Tropez reiche Männer sucht und einem Makeup-Industriellen auf "Ich bin Autodidakt" todernst "Ach so, Autohändler" entgegenschnalzt, trudeln binnen Sekunden auf Facebook OMG-Sager ein. Und bei einem Buchverlag gab es lange SNF-Schauen. Und ...

Wie eine Kinderjause

Außerdem habe ich ja eh noch eine Ausrede: Ich kenne einige der Kameraleute/Assis/Redakteure, die diesen hochprofessionellen Schrott verantworten. Was die erzählen, lässt das, was on air geht, wie eine Kinderjause wirken.

Natürlich werden Protagonisten, Personalkombinationen (etwa bei "Frauentausch") und Drumherum genau ausgesucht. Off-Texte wie Zwischenmazen (also die Zuspieler) sind große manipulative Kunst. Aber alles, was von den Protagonisten kommt, ist echt: Man kann das nicht skripten. Das brächten die besten Schauspieler nicht auf die Reihe.

Die Realität ist echter

Den Gegenbeweis zu beinharten Wirklichkeiten wie in "Schwiegertochter gesucht" gibt es ja. Aber die Darsteller in nachgestellten Serien, die Nachbarschaftskonflikte oder manche Auto-Rückführungen "real" wirken lassen sollen, scheitern. Immer. Tara & Co nie: Die Mischung aus Abgestumpftheit, Ignoranz, Größenwahn und Ich-hab-nix-zu-verlieren kann man nicht lernen.

Das kommt von innen: Wenn Taras Freundin bei SNF in Saint Tropez schwärmt, dass sie "wie eine Professionelle" Männer angrabe, meint sie, was sie sagt - ohne es zu wissen. Oder meint sie tatsächlich Prostitution als Aufstiegsmöglichkeit? Das ist "no-na-ned Part of the game". Nur: Sagen darf man es halt nicht.

Der Griff ins Klo

Derlei ist natürlich ein intellektueller, kultureller und zivilisatorischer Griff ins Klo. Aber unehrlich, unsauber oder bloßstellend sind die Formate dennoch nicht: Niemand wird zum Mitmachen gezwungen. Weder als hirnloser Suffkopf in Partyformaten, noch als bei Muttern vegetierendes Gegenstück zu jedem halbwegs zeitgemäßen Männer-Bild (zu sehen im härtesten Kuppelformat "Schwiegertochter gesucht").

Und Familien, die noch immer nicht überrissen haben, worauf sie sich bei der Reality-Soap "Frauentausch" einlassen, wäre auch mit intensiver Sozialarbeit nicht zu helfen: Die wollen das - und das ist mehrheitsfähig. Daran, dass sich für eine der letzten Staffeln von SNF angeblich eine mittlere fünfstellige Zahl von Protagonisten beworben hat, zweifle ich nicht.

Die Zukunft lebt

Dass Menschen, die da auftreten, sich zur Lachnummer machen oder sich die Zukunft verbauen, stimmt aber nicht. Besser: Es stimmt nur aus der Perspektive derjenigen, die selbst nie mitmachen würden.

Eine junge Frau, die nur eine Spur einer Idee hat, was sie aus ihrem Leben machen will, würde nie sagen, "wie eine Professionelle". Nicht abseits, schon gar nicht vor der Kamera. Junge Männer mit einem Minimum an Selbstachtung würden - auch im Hotel Mama - um kein Geld der Welt einem Kamerateam zeigen, wie die Kandidatin ihre Zehennägel abknippst.

Die Gegenseite ansehen

Doch es gibt eine Kehrseite: Wer hier auftritt, bekommt zum ersten (und vermutlich einzigen) Mal etwas, was bisher unerreichbar war: Aufmerksamkeit, Bestätigung, Schulterklopfen. Und - ja - Bewunderung. Nicht von denen, die sich abwenden oder bildunsgbürgerkonform "menschenverachtend" rufen - aber den exakt gleichen Schrottleben-Vorfühtrash für Kunst halten, sobald er von Frau Spira kommt. Nein, Bewunderung kommt von den Anderen. Ihresgleichen. Der Masse der Übergangenen, Ignorierten, Unattraktiven, Niegehörten, Perspektivlosen.

Dass dieser Ruhm vergänglich ist, ist egal: Kurz aus dem Nichts aufgetaucht zu sein, ist besser als nie. Und es kann ja auch anhalten. Theoretisch - aber nur ganz selten: Zwischen Tara und einer Daniela Katzenberger liegen nämlich Welten. Das Plattenbaukind Katzenberger hat Witz, Intellekt, Selbstironie, Herzlichkeit und die Fähigkeit, andere Menschen auch gelten zu lassen. Aber derlei merkt Tara nicht. Sie weiß aber eines: Wer die dralle Blondine Katzenberger heute auf seinem Event haben will, zahlt. Fünfstellig.

Die Präsenz kostet

Im kleineren Rahmen haut es aber schon hin: Wirte erzählen von angeblichen Angeboten von Taras (einst) bester SNF-Freundin Anni. Präsenz im Lokal koste dreistellig, auf Flyern vierstellig. Eine seriöse Rechnung: Die Zielgruppe kommt so ins Lokal. Molti, Eigi & Co (die größten SNF-Stars) füllen Diskotheken. Nur weil sie da sind.

Die Frage "Und was kommt danach?" ist obsolet: Die Null-Perspektive kann der Satz "Protagonist einer Trash-Reality-Soap" nicht verschlechtern. Egal ob als 30-Jähriger im Hotel Mama, als im achten Monat schwangere Kettenraucherin oder als "Professionelle", die Argentinien in Spanien verortet.

Die vergessenen Helden

Denn nichts vergisst die Welt schneller, als Helden von vorgestern: Wer gewann die zweite Staffel von Taxi Orange? Wie hieß die Zweitplatzierte der Vierten Supertalent-Ausgabe? Was macht "Starmania"-Gewinner Michael Tschugnall heute? Aber davon erzählen zu können, einmal wer gewesen zu sein, ist mehr, als bloß auf Kassiererin im Supermarkt oder Baumarkt-Lagerist verweisen zu können - auch wenn sich der Ruhm auf Profi in der zweiten Fußballdivision oder Insassin bei Big Brother beschränkt.

Und: Es ist affirmativ. Es zeigt den anderen Niemands, dass es geht. Dass es möglich ist, aus der Gülle des Sinnlosen zu krabbeln. Vielleicht nur kurz, aber immerhin. Man muss halt brav mitmachen - und darf keine blöden Fragen stellen.

Keine Quote, Oida

Das klingt alles zynisch? Menschenverachtend? Ja schon. Nur, wer dieses Problem in den Vordergrund stellt, verfehlt das Thema. Ist nicht Zielgruppe: Hier geht es um massenkompatible Unterhaltung - und keine Sekunde um eine bessere, gerechtere oder sonstwie schönere Welt. 

Mit der macht man nämlich keine Quote, Oida. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 30.10.2012)