Bild nicht mehr verfügbar.

Panzer des Österreichischen Bundesheeres am Mittwoch, 24. Oktober 2007, auf der Wiener Ringstrasse am Weg zur Leistungsschau des Bundesheeres im Rahmen des bevorstehenden Nationalfeiertages am Heldenplatz.

Foto: apa

Immer, wenn er mit seinen Freunden Balotte (dalmatinisch für "Boccia") spielt und am Wurf ist, brüllt der nunmehr verstorbene Serdar, Nostromo auf einem Riesentanker und unser Nachbar in Sutivan, so laut er nur kann: "Einundzwanzigregiment!" Ich muss acht Monate lang fast jeden Tag an Serdar denken, während ich meinen Präsenzdienst im Landwehrstammregiment 21 ableiste.

Der lachende Panzer

Zwischen dem Winter 1983 und dem Frühling 1984 bin ich ein Soldat der Republik und beschütze meine österreichischen Mitbürger, damit sie friedlich schlummern können. Ich hingegen lebe und schlafe zusammen mit sechzig Oberösterreichern und einem Neo-Austro-Türken im Dachstuhl der Maria-Theresien-Kaserne am Fasangarten.

Unser Zugführer erklärt uns, worin die Sinnlosigkeit der Panzerbekämpfung mit unserem belgischen halb- und vollautomatischen Gasdrucklader-FN-Sturmgewehr besteht: "Do locht ihnan dea Ponzah hechstns aus!" Das einzig Sinvolle sei, ihn, den Zugführer, zu holen, damit er dem "Ponzah" mit einem Hohlladungsgeschoß aus der Panzerfaust "aane auffebrennt!". Erst falls danach noch jemand aus dem Panzer kriecht, sollen wir mit dem Sturmgewehr ballern, bis sich "kaaner mehr rührt". Anschließend gilt die Genfer Konvention. Lehrreich ...

Etwas später beeindruckt mich dieser Zugführer dennoch. Unser "Türke" kann so gut wie kein Wort Deutsch, muss aber wie wir alle das Kompanielied auswendig singen können. Der Zugführer bleibt jeden Tag nach Dienstschluss in der Kaserne und bringt unserem türkischen Kameraden persönlich, geduldig und höflich das unsagbar dumme Liedchen bei. Also doch kein Arschloch, irgendwie.

Der gefährlichste Mann der Welt

Während ich die Republik, ihre Verfassung und die ihr zugrunde liegenden Werte zu beschützen lerne, ist die bipolare Welt noch in Ordnung, Feind und Freund genau bekannt, Osama Bin Laden noch ein Playboy und das Gehirn von Pierre Vogel noch nicht weichgeklopft. Der Feind, den wir zu massakrieren haben, ist nur ein einziger, jedoch sehr gefährlicher Mann: "Der Russ!"

Und unser Kompaniekommandeur bringt uns die "Spannocchi-Doktrin" in angedeutetem Schönbrunnerdeutsch der Militärakademie nahe: "Wir sind kein Angriffsheer, meine Herrn! Wenn der Russe kommt, dann zieh ma uns auf vorbereitete Schlüsselstellungen zrück und leisten hinhaltenden Widerstand, bis unsere Verbündeten kommen! Noch Fragen?"

Mir kommen mindestens fünf in den Sinn. Zum Beispiel, welche "Verbündeten" das neutrale Österreich da hat. Ist's eh ned auch der Russ? Oder: Welchen Sinn macht und wie viele Menschenleben darf denn ein "hinhaltender Widerstand" gegen die Rote-Armee-Maschine kosten? Doch am Ende hebe ich als Einziger die Hand und frage: "Ist dieser Russe derselbe Mann, der damals die Wehrmacht vor Stalingrad vernichtet und anschließend ganz allein halb Europa erobert hat?"

Zehn Minuten später sitze ich vor dem Regimentspsychologen, der von mir wissen will, ob ich ein Kommunistenkind bin oder eh nur deppert. Den Unterschied erklärt er mir so: "Nur deppert bedeutet nur zwei Wochen Latrinendienst!" Ich entscheide mich aus Neugier für Kommunistenkind und mir wird der Heimschläferschein widerrufen. Die Latrine putze ich einen ganzen Monat. Scheiß Kommunisten!

Von Kamerad zu Kamerad

Inzwischen darf ich mir die zu putzende Latrine selbst aussuchen, weil ich meine Ausbildner, die uns lehren, wir alle, ob Wehrmann oder General, seien Kameraden, beim Wort nehme und sämtliche Dienstgrade über mir, also alle, nur noch mit "Du", mit "Kamerad" und mit Dienstrang anspreche. Und weil ich frage, ob der Verteidigungsminister und der Bundespräsident als übergeordnete Militärinstanzen ebenfalls meine Kameraden sind.

Doch der Archipel der Latrinen in dieser riesigen Kaserne ist nicht zur Gänze erforscht, als wir zu einer Feldübung ausrücken. In einem Wald bei Wien graben wir uns ein und warten auf diesen Russen, um ihm hinhaltend zu widerstehen. Zu diesem Zweck müssen wir zusammen mit einem Kameraden Zwei-Mann-Schützenlöcher um unser Lager ausheben und tarnen.

Weil grad Frühling ist und die Wiese unterhalb unseres Lagers voller Blumen und weil mein Kamerad leicht zu überzeugen ist, tarnen wir unser Schützenloch als Blumenbeet. Leider lassen sich mein Kompaniekommandeur und der Regimentspsychologe von der Logik meiner Tarnung, für die ich die volle Verantwortung übernehme, nicht so leicht überzeugen. Aber immerhin bin ich ab nun von Kommunistenkind auf Querulant herabgestuft und werde in das Soldatenheim versetzt, wo ich für den Rest meiner Wehrpflicht Wurstsemmeln und Klobasse für meine Kameraden zubereite. Und Latrinen putze.

Ich und der Türke

Inzwischen weiß ich den Namen unseres türkischen Kameraden nicht mehr, aber damals fühle ich mich irgendwie verpflichtet, das fortzusetzen, was unser Zugführer mit dem Kompanielied beginnt, und bringe ihm den Rest der deutschen Sprache bei. Vielleicht, weil ich damals noch Lehrer werden will, vielleicht auch, weil ich einem "Bundesheerler" nicht das Monopol auf die Solidarität überlassen will.

Es klappt ganz gut, und bald versteht er jeden Befehl, und darüber hinaus kann ich ihm erklären, dass die Österreicher die Marinade für den grünen Salat zuckern, weil sie Barbaren sind. Dass sie auch tote Schweine essen, verschweige ich ihm aber, weil es seit 1918 in der österreichischen Armee keine Halal-Verpflegung mehr gibt. So wie nach 1945 auch nicht. Was er nicht weiß, so denke ich damals, bringt ihn gewiss nicht in die Hölle.

Am Tag des Abrüstens kann ich jedoch nicht widerstehen und erzähle ihm die Legende, dass die roten Streifen der Nationalfahne, unter der er seinen Eid auf die Republik leistet, das Blut zahlreicher Muslime sein sollen, die einst ein bayrischer Migrant und Kriegsverbrecher ermordet hat, damit Jerusalem christlich bleibt. Doch er sagt völlig ungerührt: "Die Österreicher sind nicht Barbaren, Schweinsbraten ist spitze! Und ich bin Kurde. Vater, Onkel, Cousin, alle sind PKK! Ich auch! Internationale Solidarität, Bruder!"

Zapfenstreich

Ich kann nicht sagen, dass ich beim Bundesheer nichts lerne. Ich lerne beispielsweise, wie man am besten so tut, als ob man was tut. Das ist angewandtes Tarnen und Täuschen. Und ich lerne, dass das größte aller Kameradenschweine jenes ist, das die Latrine vollscheißt und vollkotzt. (Bogumil Balkansky, daStandard.at, 30.10.2102)