Sie verwenden Wohnwagen nicht, um damit in den Urlaub zu fahren, sondern in ihrem buchstäblichen Sinn: Die Bewohner einer in Wien-Aspern gestrandeten Wagensiedlung verbringen ihren Alltag auf Rädern

Wo Wien noch aus Brachland und Getreidefeldern besteht, wächst ein riesiges Planstadtviertel heran. Bis 2028 reichen die Entwürfe für die Seestadt Aspern im 22. Wiener Gemeindebezirk. Dann soll am ehemaligen Flugfeld eine Fläche verbaut sein, so groß wie die Bezirke Neubau und Josefstadt zusammen.

An der Johann-Kutschera-Gasse am Rand des Gebiets sind derzeit bemalte Wohnwagen und Zugmaschinen mit mehr und weniger rostigen Anhängern aufgefädelt: Das hundert Meter lange Zuhause der Aussteiger vom Wagenplatz "Gänseblümchen".

Foto: derStandard.at/Michael Matzenberger

Bis vor ein paar Wochen standen die Fahrzeuge noch im Kreis auf einem nahe gelegenen Areal der Wiener Wirtschaftsagentur. Zwei Monate galt der entsprechende Vertrag, dann wurde der leere Parkstreifen zur nächsten Zwischenlösung.

Recht lange dürfte aber auch die nicht halten. Denn obwohl die Johann-Kutschera-Gasse eine öffentliche Straße ist, begehrt der Besitzer des angrenzenden Gründstücks, die "Wien 3420 Aspern Development AG", die Räumung des Streifens bis 9. November. Noch haben die Bewohner des Wagenparks nicht klein beigegeben. Es sei ein rechtlicher Graubereich, sagen sie.

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Als langfristige Lösung war der Parkstreifen ohnehin nicht geplant. Dass sie ihn aber so rasch wieder verlassen sollen, kommt für die Bewohner jäh. Sie hatten sich gut abgesichert: Weil die sogenannte Kampierverordnung ein Leben im öffentlichen Raum verbietet, wurde die rollende Siedlung als Dauerkundgebung deklariert. Solange also immer jemand vor Ort ist und Informationsmaterial bereit liegt, sollte der Aufenthalt rechtens sein.

Dass die Gruppe nun wieder zur Platzsuche gezwungen wird, sei auch Schuld der rot-grünen Wiener Stadtregierung, die zuvor bereitwillig Unterstützung zugesagt hatte, sagt Martin, einer der Bewohner: "Es scheitert an der Politik, nicht an den Grundstücken."

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Es gebe immer Leute, die ihnen Steine in den Weg legen, meint auch sein Kollege Simon, während er mir einen Kaffee zubereitet. "Du kriegst das Prinzessinnenhäferl", setzt er nach und lacht breit, ehe die Miene unter dem Irokesenschnitt wieder ernst wird: "Der Prokurist von der Wirtschaftsagentur war überrascht, dass wir den Platz besenrein zurückgelassen haben, als der Vertrag ausgelaufen ist". Martin zieht an der selbstgedrehten Zigarette und nickt.

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Der Wagenpark "Gänseblümchen" ist einer von dreien in Wien. Sieben bis zehn Menschen sind regulärer Teil der seit Juli bestehenden Truppe, bei meinem Besuch sind neben Simon und Martin auch Ted und Mayly anwesend. 

Einige der Bewohner gehen "gewöhnlichen" Jobs nach, andere kümmern sich um die Alltagsarbeit im Park und organisieren Sozial- und Kunstprojekte. Alle gemeinsam haben sich aber aus freien Stücken das Wagenleben ausgesucht und sind nicht aus prekären Lebensumständen hier gelandet. Ist das der Unterschied zu den Trailerparks, wie man sie aus den USA kennt? "Ja, schon. Und lustig, dass du das fragst", sagt Simon und zeigt mir einen selbst gedruckten Flyer mit dem Titel "Trailerpark Broken Heart". "Bevor wir uns auf den Namen 'Gänseblümchen' geeinigt haben, gab es auch diesen Vorschlag. Das war aber eher ironisch gemeint."

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Ob sie sich als Nomaden sehen, frage ich in die Runde. "Die sind deutlich mobiler, von mir aus müssten wir nicht alle paar Wochen umziehen", sagt Mayly. Doch wenn diese Benennung von außen kommt, verstehen sie sie nicht als abwertend. Selbst bezeichnen sich die Wagenplatzbewohner auch als "Reisende", die gegen dieselben Vorurteile kämpfen wie schon seit jeher Roma, Sinti und Jenische. Es gebe Leute, die noch heute dieselbe Schiene fahren wie früher die Nationalsozialisten. Die von "geborenen Asozialen" sprechen.

Nach meinem Besuch recherchiere ich im Archiv für Pressemitteilungen. Tatsächlich verschickt die Wiener FPÖ alle paar Wochen Streitschriften gegen die "ultralinken Beschäftigungslosen aus der unfeinen Anarchoszene", gegen die "Wagenplatz-Chaoten, die von den anständigen Menschen in unsere [sic!] Stadt durchgefüttert" werden müssten.

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Besondere Zuwendungen aus dem Steuertopf bekommen die Leute vom Wagentrupp aber nicht. Bis auf Weiteres bleibt sogar der Luxus fließenden Wassers unerfüllt. Auch Strom ist keine Selbstverständlichkeit. Dieselgeneratoren und die Solarmodule auf einem der Wagendächer reichen tagsüber für die notwendigsten Aufgaben - etwa den Antrieb eines Kühlaggregats.

Dass die Lebensmittel im Winter nicht extra gekühlt werden müssen, ist einer der wenigen Vorteile der bevorstehenden kalten Jahreszeit. Zwar muss stattdessen viel Brennholz herangeschafft werden, aber die Wagen sind gut isoliert, sagt Mayly: "Es ist nicht viel anders als in einer Wohnung."

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Beim Rundgang fällt mir auf, dass es gar nicht so wenige Annehmlichkeiten gibt. Da sind Gemeinschafts-, Küchen- und Badwagen, ein "mobiles Bio-Trenn-Klo" und auch eine Bar auf Rädern. "Davon musst du noch ein Foto machen, wir haben extra aufgeräumt", sagt Simon.

Als ich meine Bilder beisammen habe und gehen will, fragen die Männer, ob ich noch mitkommen möchte, um einen alten Wohnanhänger von einem nahe gelegenen Bauernhof zu transportieren.

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Ted vom Wagenplatz führt Schmäh mit wilden Gesten. Bauer Sepp überlässt der Gruppe den seit Jahren ungenutzten Wohnwagen kostenlos. In Inseraten würde die gebräuchliche Bezeichnung "für Bastler" lauten, aber beide Seiten freuen sich über den Deal.

Mit einem alten Steyr-Traktor schleppt Martin den breiten Hänger über die Ostbahnbegleitstraße zurück zum Wagenplatz. Das Vehikel ist auf maximal zehn Stundenkilometer zugelassen und die Straße per Ampelschaltung jeweils nur in eine Fahrtrichtung geöffnet. Deshalb braucht er zwei von Hupkonzerten begleitete Grünphasen, um durch das Nadelöhr zu gelangen.

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"Ein Abenteuer in Transdanubien", nennt Ted die Überstellung am Weg zurück zum Wagenplatz. Für mich ist das Abenteuer wieder vorbei. Für die allerersten Bewohner der Seestadt Aspern werden noch weitere folgen. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 8.11.2012)

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