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Foglar (li.), Tumpel (re.): Reformen in Österreich wirken.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Im "Kommentar der anderen" (DER STANDARD, 19. Oktober) machen Ex-Finanzminister Hannes Androsch und Sozialforscher Bernd Marin gegen vermeintliche "Reformblockierer im Pensionsstreit" mobil. Sie wettern gegen "unwahre, einfältige (...), beleidigende Anwürfe", gegen " Gesprächsverweigerung" und dagegen, "alle Reformkräfte zu diffamieren". Sie verlangen "einen unvoreingenommenen fachlichen und sachlichen Dialog um die besten Reformvarianten auf der Höhe der Zeit". Sehr fein, dem hehren Ansinnen nach "Dialog (...) auf der Höhe der Zeit" werden wir uns nicht entziehen, gerne setzen wir uns also fachlich, sachlich und unbeleidigt mit den Fakten auseinander. Fakt ist zum Beispiel, dass eine beeindruckende Ansammlung namhafter Wissenschafter, Politiker, Unternehmer und anderer keineswegs schon per se eine Garantie für die Richtigkeit der Vorschläge sind.

Weshalb lehnen wir den im Aufruf geforderten Umstieg auf "Beitragskonten" ab?

Der Vorschlag ist nicht neu, wurde bereits diskutiert - und wieder verworfen.

Eine Umstellung auf Beitragskonten wurde bei den Pensionsreformen 2003/2004 von der damaligen Bundesregierung ins Spiel gebracht. Aus guten Gründen wurde letztlich der Einführung von "Leistungskonten" (mit Ausweisung der jeweils erworbenen Pensionsansprüche und Finanzierung durch Beitragseinnahmen und Steuermittel) der Vorzug gegeben. Es hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass ein soziales Pensionssystem (Sozialversicherung) angemessene und verlässliche Leistungen bieten muss und sich daher wesentlich von einem reinen Versicherungssystem zu unterscheiden hat. Ein Beitragskontensystem, das die Leistungsseite zur alleinigen Manövriergröße macht, um allfällige Ungleichgewichte auszutarieren, wird dem nicht gerecht.

Der Vorschlag zielt im Kern auf eine Abschaffung des Bundesbeitrages zur Mitfinanzierung der gesetzlichen Pensionsversicherung.

Bezeichnend ist, dass dieses Ziel von den Verfassern des Aufrufs erst am Tag der öffentlichen Vorstellung in Interviews angesprochen wurde, nicht aber im Text, der den UnterzeichnerInnen vorgelegt wurde. Im Gegenteil: Dort wird die Umstellung von Leistungs- auf Beitragskonten - in Relation zu bereits durchgeführten Pensionsreformen - verharmlosend als " vergleichsweise kleiner, aber wichtiger Schritt" bezeichnet.

Propagiert man das schwedische System, muss man ehrlicherweise dazusagen, dass eine massive Anhebung der Beiträge die Folge wäre. Das käme einer Erhöhung der Lohnnebenkosten gleich - diese Diskussion hat die Wirtschaft allerdings mit einem Tabu belegt (so viel zur Gesprächsverweigerung unsererseits). Da demnach Beitragserhöhungen nicht infrage kommen, liegt also auf der Hand, dass der Wegfall des ca. 25-prozentigen Finanzierungsanteils aus Steuermitteln schlussendlich massive Kürzungen der Pensionen erforderlich machen würde. Die als Alternative ins Spiel gebrachte massive Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters geht völlig an den Realitäten des österreichischen Arbeitsmarktes vorbei. Hier braucht es realistische Zielsetzungen wie die Annäherung des faktischen an das gesetzliche Pensionsantrittsalter.

Beim Verweis auf das schwedische Modell und die dortigen Beitragskonten werden zentrale Elemente übergangen.

Viel höhere Beiträge

In Schweden werden in Summe viel höhere Pensionsbeiträge bezahlt als in Österreich: Zusammengerechnet machen die Beiträge für öffentliche Alterssicherung, Invaliditäts- und Krankengeldversicherung, Hinterbliebenenversicherung und für die dort flächendeckend bezahlten Betriebspensionen ca. 28 Prozent der Erwerbseinkommen aus.

In Schweden konnten in den letzten Jahren massive Pensionskürzungen trotz riesiger öffentlicher Pensionsfonds nur durch erhebliche Steuerzuschüsse vermieden werden.

In Schweden gibt es ein viel großzügigeres steuerfinanziertes Mindestsicherungssystem ("Garantiepension").

In Schweden gibt es ein viel strengeres Kündigungsregime als in Österreich und viel mehr Bereitschaft der Arbeitgeber, passende Arbeitsplätze für Menschen im höheren Erwerbsalter zur Verfügung zu stellen. Bezeichnenderweise gibt es aber dafür keine Vorschläge mit Hinweis auf das gute schwedische Beispiel, dabei weist der österreichische Arbeitsmarkt hier massive Defizite auf. Die hiesige Freiwilligkeit in dieser Frage ist für die Arbeitgeber wohl nicht ausreichend, Verpflichtungen wie in Schweden wären zielführender.

Mit der Behauptung, das österreichische Pensionssystem sei nicht auf den demografischen Wandel vorbereitet, werden die Pensionsreformen der letzten Jahrzehnte ignoriert.

Das neue Pensionskontorecht für die Jüngeren wurde ganz gezielt unter Berücksichtigung des prognostizierten Anstiegs der Lebenserwartung und des steigenden Altenanteils konzipiert. Die Regelungen unterscheiden sich in zentralen Punkten vom alten Recht: Lebensdurchrechnung, niedrigere Steigerungsprozente, höhere Zu- bzw. Abschläge bei späterem bzw. früherem Pensionsantritt, Einrichtung individueller Pensionskonten (Leistungskonten) und mehr. Dass diese Änderungen auch wirken, zeigt die prognostizierte Entwicklung der Pensionsausgaben: Obwohl beinahe eine Verdoppelung der Altenquote erwartet wird, wird bei den öffentlichen Pensionsausgaben nur mit einem Anstieg von derzeit 14,1 auf 16,1 Prozent des BIP im Jahr 2060 gerechnet.

Unterm Strich bleibt: Österreich hat ein gutes Pensionssystem, das durch die erwähnten Reformen auf die zentralen Herausforderungen reagiert hat. Wir sind auch keine Reformverweigerer, im Gegenteil: In den vergangenen 25 Jahren haben wir im Reformprozess aktiv und konstruktiv mitgewirkt. Über den österreichischen Weg kann man natürlich diskutieren, hier gibt es offenbar viele Facetten und Details, die unklar oder unbekannt sind. Es ist allerdings nicht sinnvoll, einen einzigen Bestandteil des schwedischen Systems (die Beitragskonten) herauszulösen und nach Österreich zu importieren - aus einem einfachen Grund: Altersarmut. Das würde unser Pensionsniveau zusätzlich zu den bereits beschlossenen Maßnahmen weiter beträchtlich senken. Und über die mutwillige Herbeiführung von Altersarmut sind wir wirklich nicht gesprächsbereit.

Nach den vielen bereits durchgeführten Pensionsreformen müssen wir uns nun vor allem um die Verbesserung der Arbeitsmarktchancen der Menschen und um eine fairere Verteilung des erarbeiteten Wohlstands kümmern. Übertriebener Reformeifer und ein Aufruf zu einer neuerlichen " Pensionsreform" helfen dabei nicht weiter. Die unsachliche Verunsicherung der - jungen wie auch älteren - Menschen muss endlich aufhören. (Herbert Tumpel/Erich Foglar, DER STANDARD, 29.10.2012)