Das Krebsfest - auch am Campingplatz wird solcherart Feierlichkeit geboten (First Camp Mölle)

Foto: derStandard.at/Bruckner

Smögen an der Westküste Schwedens.

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Soviel Einsamkeit findet sich hier in den Sommermonaten selten. Auch die Schweden lieben diese Art von Natur.

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Sundsby Säteri (Herrenhof Sundsby) - ein Stopp für einen Fika geht sich immer aus.

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Ein Schiff wird kommen - im Hintergrund das Städchen Strömstad.

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In Schweden liebt man Camping. Und das auf eine Weise, die dem Nichtcamper irgendwie nicht einleuchten mag und doch so vernünftig ist.

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Man fährt mit Zelt oder Wohnwagen los. Campingplatz bedeutet hier meist dreierlei. Zelt - groß oder klein, Wohnmobil - riesig schon eher als klein oder Hütte.

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Zu Besuch in Åsle Tå, so lebten die Bauerschweden im 18. Jahrhundert! Ein Museumsdorf mit Katen und natürlich authentischer Einrichtung.

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"Nu tar vi den, nu tar vi den." Der Krebs ist rot, der Krebs ist rot. Nun liegt er da und ist ganz tot. Von einem tristen Ende soll hier trotzdem nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil. Üppig rot, die Scheren dynamisch von sich streckend, liegt es da, das Getier, und harrt kunstvoll gestapelt seines Schicksals, als Nahrung das irdische Dasein zu verwirken.

Aquavit und der Krebs

Ein Festschmaus, wie das schwedische Krebsfest, gereicht sowohl dem, der frisst, als auch jenen, die gefressen werden, zur Ehre. Was da gegen Ende des Sommers landesweit mit viel Aquavit - Lebenswasser, wie der Hochprozentige sinnigerweise heißt - begossen und mit ebenso ausgiebigem Singen musikalisch umrahmt wird, hat mit den Jahreszeiten zu tun. Das Kräftskiva darf sich getrost zu einer der liebsten Traditionen zählen. Die Nächte werden länger und das Ende des Sommers ist nah. Das alleine wäre ja für die meisten Menschen eher weniger Grund zum Feiern. Doch gleichzeitig ist die Schonzeit der Flusskrebse vorbei und sie dürfen wieder gefangen werden. Oder durften - solange es sie in den zahlreichen schwedischen Gewässern gab. Das war zwischendurch schon einmal gar keine Selbstverständlichkeit mehr. Deswegen landen am Festtagstisch durchaus auch tiefgefrorene, schon fertig nach schwedischem Rezept gekochte Exemplare aus dem Ausland.

Ein Lied, ein Schnaps

Aber das ist heute nirgendwo mehr eine Besonderheit. Das Essen macht auch nur einen Teil des Krebsfestes aus. In kulinarischer Dreifaltigkeit gilt nämlich die Regel: Ein Krebs, ein Lied, ein Schnaps! Wobei es beim musikalischen Teil weniger auf die hohe Kunst, als auf die Inbrunst ankommt: "Gestern schwamm er noch im Fluss. Heute ist mit Schwimmen Schluss." Heimische G'stanzl-Kundige wissen, worauf so ein Abend in der Regel hinausläuft und dass würdevolle Zurückhaltung nicht die Grundeinstellung ist, mit der solche Feste begangen werden.

Das ist auch im Norden so. Allen Klischees vom kühlen und distanzierten Gemüt zum Trotz. Ob im eigenen Garten, am allseits beliebten und überall vorhandenen Campingplatz, oder ganz offiziell im Restaurant, der Rahmen ist immer ähnlich:  Lampions, Papierservietten, Papier-Tischdecken - gerne mit Krebsmotiven bezierleistet - und dann heißt es alle Würdeansprüche fahren zu lassen. Die Gäste binden sich ein Barterl um. Ganz genau so eines, wie es Mama und Papa dem Nachwuchs um den Hals legen, damit sich die Sauerei beim ungezügelten Essen nicht allzu dramatisch auswirkt. Und damit nicht genug, hieven alle ein spitzes buntes Papierhuterl aufs Haupt. Lächerlich? Ja tatsächlich. Komischer sieht so schnell keine Feierrunde aus. Klar ist: Wer den Spott über die anderen ausschüttet, braucht um den eigenen nicht zu fürchten.

Doch nun zu den Protagonisten: Die Flusskrebse - heimisch oder nicht - werden in einer Soße mit Dill, Honig, Bier und Salz gekocht und mit Schnaps, Bier, Wein und Topfenkuchen gereicht. Mit Knacken, Schmatzen, Saugen, Schälen geht es dem Getier lautstark an Scheren und Kragen. Auch so lässt sich der Sommer verabschieden.

Die Natur im Übermaß

Doch wen es in den Norden zieht, der braucht wohl ohnedies keinen Anlass wie diesen. Allerdings: Die Chance, eines der vielen Feste zu erwischen, steht angesichts ihrer hohen Zahl recht gut. Essen und Trinken stehen aber das liebe lange Jahr hoch im Kurs. Und natürlich die Natur. Die ist ja eigentlich einer der wichtigsten Anziehungsgründe für Schweden-Reisende. Das drittgrößte Land Westeuropas erstreckt sich über immerhin 450.000 km². Nur etwas über neun Millionen Einwohner teilen sich diesen ausgedehnten Platz. Man hat seine akkuraten Rabatten im Vorgarten, die Fahne vor dem Haus, nennt vermutlich ein Boot sein Eigen, und man hat ein Recht auf Flora und Fauna. Unabhängig von den Eigentumsverhältnissen am jeweiligen Grund und Boden darf hier jedermann die Natur genießen und ihre Früchte nutzen.

Das Jedermannsrecht ist ungeschriebenes Gesetz und bedeutet für Schwedens Bürgerinnen auch eine Pflicht. Vielleicht ergibt sich das eine ganz von selbst aus dem anderen. "Nicht mein, mir wurscht, wie es hier ausschaut und zugeht", diese Haltung ist im Land der Seen rar bis nicht vorhanden. Die Freiheit im Grünen hört dort auf, wo sie jemandes anderen Freiheit beschränkt. Und so ist es selbstverständlicher als anderswo, dass - wer im Grünen sich mit Kind und Kegel oder eventuell auch mit Schlafsack oder Zelt niederlässt und seinen Dreck wieder einpackt - nicht angepöbelt und niedergekeppelt wird, sondern freundlich begrüßt. Immer vorausgesetzt, der häusliche Frieden des Landbesitzers wird nicht gestört und der Hausverstand nicht daheimgelassen - die Jagd, das Fangen von Tieren oder das Einsammeln von Eiern fallen nämlich nirgendwo unter das Jedermannsrecht.

Am Land und auf der Heide

Und so lassen sich Felder und Weiden, zauberhafte Moose, feenhafte Wälder, Schafe und Fleckvieh, kurz die Idylle, die sich andernorts aus Platzmangel oft auf Tourismusprospekte und Werbefolder beschränkt, aus vollem Herzen und im Übermaß genießen. Ob Strandflair an den verhältnismäßig dicht besiedelten und den Sommer über allzu gut besuchten Küstenstreifen, Süß-Wasser im Landesinneren in Form von Riesen-Seen oder harschere Gefilde in Norden des Nordens: Gesegnet ist das Land mit viel Gegend. Doch viel gibt es nicht nur an Lebensraum: Auch Pausen gehören hier zum guten Ton. Eine besondere Rolle spielt dabei die fika, wie man die Kaffeepause nennt. Auch die Feste werden gefeiert, wie sie fallen. Vielleicht deswegen, weil das mit dem Alkohol-Trinken hier so eine Sache ist. Viel fließt davon, aber zu anderen Zeiten, als es etwa der Österreicher gewöhnt ist. Zu drastisch sind die Strafen für Trinken und Fahren. Das gilt übrigens auch für Geschwindigkeitsübertretungen. Darum geht es hier auf den Verkehrswegen eher gemütlich zu. Und so kommt es, dass es viele Anlässe für Gelage gibt.  Die Sau lässt man besser hier als auf den Straßen raus: "Helan går, sjung hoppfallerallan lallan lej - Heb dein Glas, sing hopp falleralla lalla lej." (Regina Bruckner, derStandard.at, 6.11.2012)