Wien - Wenn gepflegte Weiblichkeit im Quenty-Forty-Lebensabschnitt en masse die Staatsoper flutet, dann müssen da wohl höhere Mächte mit im Spiel sein. Jonas Kaufmann zum Beispiel. Der 43-Jährige ist der aktuelle Kassenmagnet und Coverboy der Opernwelt, der Tenor-Apoll-du-jour.

Seine adorierte Physis zeigte sich bei seinem Liederabend etwas angeschlagen: Kaufmann informierte das Publikum vorab über sein akutes Magen-Darm-Grippeleiden, er fühle sich "etwas zittrig". Worauf ihm aus dem Stehplatzbereich eine couragiert-hysterische Stimme entgegenschlug, die riet, er solle seine Grippe einfach in den "geistigen Mülleimer" schmeißen. Und schon ging's los.

Kaufmann sang und wurde zu jenem Müllerburschen, dessen emotionale Wanderungen von den Gefilden höchster Euphorie bis in jene abgrundtiefer Verzweiflung Franz Schubert so berührend in Tonform gesetzt hat. Im ersten Viertel dieser Tour ließ eine leichte Trockenheit der Stimme und ein dünn klingendes Piano noch um die Durchhaltekraft des Deutschen bangen, doch dann nahmen Wärme und Elastizität zu wie auch die Mischfähigkeit von Brust- und Kopfstimme.

Berührende, intime Pianissimi waren Kaufmann so möglich, doch natürlich führte der Opernstar sein Luxusorgan mit dem gedeckten, kernigen Timbre auch in die Zonen dynamischer Attacke. Wie seine Wortdeutlichkeit berückten auch Genauigkeit und Nuanciertheit des gesungenen Gefühls, auch in den Strophenliedern. Am Klavier assistierte ausgewogen und doch farbenreich Helmut Deutsch, der sich zu Beginn nicht einmal den Anflug eines Pedalrausche(n)s erlaubte.

In der letzten Strophe des letzten Liedes, bei des Baches schubertsanftem Trostlied für das Liebesopfer, spannte Kaufmann noch einmal einen letzten, intensiven Bogen der Emotion. Frenetischer Applaus, drei Zugaben.   (Stefan Ender, DER STANDARD, 25./26.10.2012)