Barbara Karlich, Meisterin der Aussprache, sagt, wie's ist. Wer es richtig zu lesen versteht, wirkt am Prozess der spezifisch österreichischen Wahrheitsfindung mit.

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Marlene Streeruwitz

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Gut ist, dass niemand lügt. Dass nicht gelogen wird. Nicht in der Politik. Nicht in der Werbung. Es wird immer alles gesagt. Immer alles gestanden. Es muss nur gelesen werden. Denn. Erst im Lesen fabrizieren sich die Lügen. Und die Medien. Die arbeiten am Lesen dieser Texte mit.

Das schönste Beispiel für diese Art von Geständnistext liefert gerade Barbara Karlich mit ihrem TV-Werbespot für ein Joghurt. Die Stimme von Frau Karlich erzählt uns, wie ideal sie ihr Leben lebt. Sie wache fröhlich auf, erzählt sie uns. Sie mache Morgengymnastik. Sie frühstücke lang und ausgiebig. Sie hält die Vorschriften ein. Würden wir die Worte aufschreiben. Wörtlich genommen wären alle Vorschreibungen der Schönheits- und Gesundheitspolitik befolgt. Die Stimme von Frau Karlich widerspricht mit einem fröhlichen Glucksen dieser Normerfüllung und stellt damit die Verbindung zum Bild her. Der Körper von Frau Karlich wacht nämlich nicht fröhlich auf. Genervt wird da die Decke wieder über den Kopf gezogen. Die Gymnastik bleibt ein kurzes Busenheben. Das Frühstück ist eine Tasse Kaffee in aller Hast. Text und Bild stehen in vollkommenem Widerspruch, und erst das Produkt verbindet diesen Gegensatz von Ton und Bild. Hier ist die Botschaft, dass der Einklang von Sagen und Tun erst mittels dieses Joghurts herzustellen ist. Das Ziel des ganzen Texts ist im diskreten Punktepfeil nach unten mitgeteilt. Es geht um geregelte Ausscheidung. Dieses bestimmte Joghurt ist in der Lage, die Sünden gegen die Disziplin ungeschehen zu machen. Gesunde Lebensführung. Die kann durch dieses Produkt ersetzt werden. Machen Sie sich keine Sorgen, sagt so ein Text. Sie müssen die Regeln nicht einhalten. Wir helfen Ihnen beim Schwindeln.

Und ganz genau wie dieser Werbetext funktioniert auch der politische Text hierzulande. Niemand lügt. Es wird nicht gelogen. Es wird immer die Wahrheit gesagt. Sogar die ganze Wahrheit. Erst das Lesen fabriziert die Lügen. Und. Je fragmentierter dieses Lesen, desto politisch erfolgreicher. Auch Jörg Haider hat immer die Wahrheit gesagt. Die Wähler wollten nur den aggressiven Anteil des Rassismus hören und die Wirtschaftseliten die korrupte Rückverteilung. Heute. Wir können Jörg Haider heute als das sehen, was das Joghurt in der Werbung für Frau Karlich ist. Das Versprechen der Rettung aus der Lebensschlamperei.

Die Texte des Gestehens in unserer Kultur. Die kommen von lange her. Und. So ein Geständnis. Das muss ja immer alle Ebenen beinhalten. Die Wahrheit ist ein sehr dichtes Gewebe. Deshalb sind Geständnisse wie Partituren aufgebaut. Die Frau Karlich führt das ganz konkret mit ihrem Joghurt vor. Text. Stimme. Bild. Auftritt. Jede Ebene bildet eine eigene Stimme mit je eigenem Inhalt. Der Leser oder die Leserin. Sie müssten wie ein Dirigent alle diese Stimmen einzeln und dann im Zusammenklang lesen. Dafür ist keine Zeit. So ein Kurztext im Fernsehen. Da werden kulturelle Muster im Leser und hier speziell der Leserin angesprochen. Deren Prägungen und persönliche Gebundenheiten. Das soziale Geschlecht. Das körperliche. Ganz offen wird die Wahrheit des Schwindelns vorgelegt und in dieser Offenheit verborgen.

Genau so funktioniert es mit dem politischen Text. Deshalb führt der Abbruch eines Korruptionsuntersuchungsausschusses auch nur zu erneutem Achselzucken. Denn. Es wurde nie gelogen. Es war immer klar, warum bestimmte Personen in die Politik gehen oder gingen. Warum welche Gruppierungen gebildet wurden. Wir wissen alle, dass es für die einen um den Machterhalt und damit die Möglichkeit der persönlichen Bereicherung jedweder Art geht und für die anderen um den Eintritt in so einen Machterhalt. Dieses Wissen der vollen Wahrheit wäre eine wunderbare Voraussetzung für wunderbare Demokratie. Aber. Das kulturelle Lesen erzwingt nun seinerseits Zensur, und die nichtverbalen Bindungskräfte der Zugehörigkeiten erzwingen die politische Lüge. Und das endet in Achselzucken und der Gewissheit, es ohnehin immer gewusst zu haben.

Wir sind alle schwach

Warum soll das einer nun gefallen. Nun. Wenn wir durch eine jahrhundertelange Tradition der Zensur in die Wahrheit und deren Zerstörung durch das totale Geständnis gezwungen worden sind. Und nichts anderes macht der Werbespot von Frau Karlich. Sie gesteht ihre persönliche Unzulänglichkeit, um sich unserer Identifizierung genau darin zu vergewissern. Wir sind schließlich alle schwach. Und dann verhilft sie uns aus dieser gemeinsamen Schwäche in ein Produkt der Rettung. Das war früher einmal die Technik der katholischen Kirche mit der ewigen Seligkeit. Die Werbung baut diese Technik nur zur Kunst des Kapitalistischen um.

Wenn wir nun in Geständnissen sprechen und lesen. Dann wäre es doch nur ein kleiner Schritt, sich zum Gesamtleser und zur Gesamtleserin dieser Texte aufzuschwingen. In diesem Gesamtlesen der vorgelegten Partituren in der Politik wäre dann alles enthalten, was den demokratischen Souverän ausmachte. Eine Selbstermächtigung zum Lesen der ganzen Wahrheit müsste das sein. Kein Unterdrücken einer Stimme in dieser Partitur, die nicht ausgehalten werden kann oder die gleich einmal verdrängt werden muss. Ich denke, zunächst würden wir einmal in helles Lachen ausbrechen müssen. Zu plump und lächerlich einfach läge die Wahrheit vor uns.

Und nach dem Gelächter. Dann bitte wirkliche Politik. Denn. Auch über Machtausübung der übleren Art erzählt der Werbespot von diesem Joghurt. Ganz nebenbei. Frau Karlich hält sich am Ende eine Art Bildschirm vor die Hüften. Auf dem Bildschirm schwingen sich schlanke und sehr junge und wenig bekleidete Hüften. Von dieser Person bekommen wir aber nur den Abschnitt zwischen Nabel und halbem Oberschenkel zu sehen. Halt so viel, dass der Hüftschwung der Salsarhythmen zu sehen ist, den Frau Karlich nicht so unbekleidet hinter diesem Bildschirminsert selber vorführt. Und ganz nebenbei. Hier wird die gute alte Verdinglichung eingesetzt. Hier ist es die gute alte Verdinglichung des weiblichen Körpers. Hier noch dazu von einer Frau benutzt, was die Sache nicht weniger degradierend macht. Also. Nach der Erkenntnis, dass wir die Wahrheit ohnehin immer gestehen müssen und uns nur gestatten müssten, die Wahrheit auch sehen zu können. Nach dieser Erkenntnis erlauben wir uns dann auch noch die Forderung nach Würde. Oder vielleicht sollten wir diese Forderung vor die Erkenntnisgewinnung setzen. Dann können wir zwar nicht lachen, aber es wird keine persönliche Zumutung, die Wahrheit als Ausgangsmaterial für Analyse, Reaktionen und Gestaltung zu verwenden. Für Demokratie halt. Und am Ende. Es wird um Würde gehen. Und die Rahmenbedingungen dafür. Die müssen wir uns in der Politik verschaffen. Dass das prinzipiell und theoretisch möglich wäre. In Österreich. Wer sollte das nicht gut finden. (Marlene Streeruwitz, DER STANDARD, 25./26.10.2012)