Foto: Norbert Pfaffenbichler

Die diesjährige Viennale-Retrospektive im Filmmuseum widmet sich dem Werk des in Wien geborenen Fritz Lang. Durch sein OEuvre verläuft eine gewaltige Bruchlinie, die durch seine "Übersiedelung" in die USA begründet ist. Langs politische Gesinnung verdient höchsten Respekt. Welche ungeahnten Möglichkeiten hätte der Regisseur im Dritten Reich gehabt? Er hätte im Filmsektor das werden können, was Albert Speer für die Architektur war. Anstatt aber im Dritten Reich Propaganda-Monumente für die Nazis zu errichten, zog er es vor, vergleichsweise kleine Genrestreifen in Hollywood zu produzieren.

In Hollywood konnte er bis zu seinem Tod zwar arbeiten, mit dem Studiosystem freundete er sich allerdings nie an. In Godards Le Mepris, in dem Lang sich selbst verkörpert, wird dieser permanente Konflikt thematisiert. Diesen - nicht zuletzt aufgrund der Musik von Georges Delerues - zum Weinen schönen Film kann man gar nicht oft genug sehen.

Über die Analogie der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise zur Situation der 1930er-Jahre wurde bereits viel gesagt und geschrieben. Interessant, wenn man sich die von Rudolf Klein-Rogge dargestellten Schurken aus Langs Filmen dieser Zeit ansieht. Der Bösewicht aus Die Spione ist ein mächtiger Großbankier und nebenher auch noch Doppelagent in eigener Sache und Varieté-Clown. Allein schon das dramatische Finale - in dem sich der Unhold im Clownkostüm auf offener Bühne eine Kugel in den Kopf jagt - lohnt den Kinobesuch.

Mit der Figur des Dr. Mabuse schuf Lang ein Rolemodel für alle Verschwörungstheoretiker. Damals wie heute existiert der Wunsch, die undurchschaubaren Prozesse der Kapitalflüsse zu simplifizieren. Im Spielfilm laufen alle Fäden beim Multiprofessionalisten Mabuse zusammen; er sitzt in Zentrum eines gigantischen Spinnennetzes und steuert zentral sämtliche kriminellen Aktivitäten.

Mabuse ist ein Mann der Masken, der seine Identitäten nach Belieben wechselt. Im ersten - noch stummen - Mabuse-Film ist er Psychoanalytiker, Börsenspekulant und Spieler. Im Testament des Dr. Mabuse ist der Superverbrecher in einer psychiatrischen Anstalt inhaftiert, der ihn behandelnde Psychiater übernimmt seine Rolle in der Unterwelt. Das kollektive Unbewusste offenbart sich damals wie heute am augenfälligsten im kommerziellen Kino. Eigene Ängste werden auf jene Personen übertragen, die sich professionell mit der menschlichen Psyche beschäftigen. Psychiater, Psychologen und Psychotherapeuten werden im Mainstreamkino bestenfalls als Witzfiguren dargestellt.

Das Testament des Dr. Mabuse ist das herausragende Werk der Mabuse-Reihe. Visuell geschult an Neuer Sachlichkeit und am Expressionismus, nutzt Lang effizient einfache Effekte, um wahnhafte Halluzinationen eindringlich darzustellen. Wie dramaturgisch geschickt Lang mit den Klängen in diesem frühen Tonfilm umgeht, ist bemerkenswert.

Die Innovationen sind sicherlich nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass die technischen Limitierungen der frühen Tonfilmverfahren fantasievolle Lösungen erzwangen. Spätere Entwicklungen erscheinen mit Blick auf Langs frühe Tonfilme als Rückschritt. Schade, dass diese Experimente keine Fortführung oder Weiterentwicklung erfuhren. (Norbert Pfaffenbichler, Spezial, DER STANDARD, 25./26.10.2012)