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Kerviel hatte auf einen Freispruch gehofft. Die Richterin hingegen bestätigte das Urteil erster Instanz.

Foto: Reuters/François Mori

Das Berufungsgericht ist dabei geblieben: Jérôme Kerviel muss wegen Veruntreuung, Fälschung und betrügerischer Manipulation für fünf Jahre in Haft, drei davon unbedingt. Zudem muss er 4,9 Milliarden Euro an seine ehemalige Arbeitgeberin, die Société Générale, zurückzahlen. Der Anwalt Kerviels kündigte an, das Urteil möglicherweise vor dem Kassationsgerichtshof anfechten zu wollen. David Koubbi sprach außerdem von einer "absolut bedauerlichen Ungerechtigkeit", wie mehrere französische Medien berichten. Die Anwältin der Bank zeigte sich kämpferisch: Man werde nicht auf Schadenersatzforderungen verzichten und die finanzielle Situation Kerviels - gegebenfalls auch mittels Anwälten - genau prüfen.

Zur Vorgeschichte:

Für den Verlust von 4,9 Milliarden Euro aus - angeblich nicht genehmigten Spekulationsgeschäften bei der Société Générale - verdonnerte ein Pariser Gericht Kerviel im Jahr 2008 in erster Instanz zu drei Jahren unbedingter und zwei Jahren bedingter Haft. Kerviel sollte für sein Verbrechen zahlen - nicht nur mit einer Gefängnisstrafe, den Schaden sollte er auf Euro und Cent zurückerstatten. Ein Erfolg für Frankreichs zweitgrößte börsennotierte Bank, nannte der damalige Vorstandsvorsitzende und Verwaltungsratschef, Daniel Bouton, Kerviel doch einen "Terroristen".

In der Tat hatte der damals 31-Jährige mit 50 Milliarden Euro jongliert. Eine Summe, die den Wert des Bankhauses bei Weitem übertraf. Der Handelsverlust war somit einer der größten in der Geschichte. Er löschte auf einen Schlag fast den gesamten Vorsteuergewinn aus zwei Jahren der Investmentbanking-Sparte der Société Générale aus. Nicht einmal der schillernde Star-Anwalt Olivier Metzner, zu dessen erlauchtem Klienten-Kreis auch die Tochter der L'Oréal-Erbin Liliane Bettencourt zählt, konnte Kerviel diese Strafe ersparen. Er kündigte Berufung an - und kündigte wenig später selbst.

Strategie der Verschwörungskampagne

Kerviel ging in Berufung und pokerte damit hoch. Denn es ist kein Geheimnis, dass in einem Berufungsverfahren die Strafe häufig noch verschärft wird. So forderte die Staatsanwaltschaft bereits im Vorfeld das Höchstmaß von fünf Jahren Haft. Kerviels Gegengift: Er änderte seine Strategie. Hatte er sich im ersten Prozess noch damit verteidigt, dass er bei seinen hochriskanten Geldgeschäften mit Wissen seiner Vorgesetzten gehandelt habe, wollte er mit seinem neuen Anwalt Koubbi beweisen, dass er Opfer einer Verschwörungskampagne geworden war.

Demnach sollte Kerviel freien Handlungsspielraum gehabt haben, um von den desaströsen Subprime-Geschäften der Bank abzulenken. Außerdem wollte er mit zwei Zeugen, ehemalige Angestellte von Fimat, einer Tochterfirma der Société Générale, beweisen, dass diese um Kerviels hohe Spekulationen gewusst hätten. Laut Koubbi wäre das ein Indiz mehr dafür gewesen, dass Kerviel kein Betrüger, sondern das Bauernopfer des Systems gewesen sein musste. Die ganze Affäre sei eine "Maskerade und eine intellektuelle Gaunerei", wurde der Anwalt von der französischen Tageszeitung "Libération" zitiert. Er forderte einen Freispruch für seinen Mandanten.

"Absurd", "grotesk", "eine gigantische Anschuldigung und Lüge", konterte die Bank laut "Le nouvel Observateur", als Koubbi im Sommer Anzeige erstattete. Eines macht jedoch stutzig: 1,7 Milliarden erhielt die Bank für ihren Verlust durch Steuererleichterungen wieder zurück, obwohl die französische Bankenkommission offiziell gravierende Versäumnisse bei der Kontrolle ihrer Händler festgestellt hatte. Darüberhinaus wurde dieses Steuerzuckerl im ersten Prozess nie thematisiert und erst nach der Verurteilung Kerviels publik. Bankenchef Bouton musste gehen, die Société Générale vier Millionen Euro Strafe zahlen. Die Bank kann damit vielleicht ein unschönes Kapitel abschließen. Juristisch bleiben viele Fragen offen. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 24.10.2012)