Die Fahne hochhalten: US-Kriegsveteranen im Kompilationsfilm "Far from Afghanistan". 

Foto: Viennale

Der britische Historiker Niall Ferguson ist nicht der Einzige, der von den USA als einem "Koloss" spricht. Aber so richtig ernst nimmt er in seiner Geschichte des untergehenden Imperiums den eigenen Begriff nicht, denn er erzählt dann ja doch nicht viel mehr als eine Geschichte der Kriege, in die sich die USA seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eingelassen haben. Der US-Filmemacher John Gianvito spricht auch von einem "colossus", wenn er von seinem eigenen Land spricht. Aber er hängt gleich noch ein anderes Wort an: "serial killer".

Die zermalmende Wucht, die die militärische Macht der USA immer noch hat, wird wohl nirgends drängender (un-)anschaulich als bei den vielen Opfern der Raketenangriffe, die von Drohnen vorgetragen werden und die immer wieder unschuldige Menschen mit in den Tod reißen (von den problematischen rechtlichen Implikationen der gezielten Tötung von " enemy combattants" einmal abgesehen).

Es gibt Menschen, denen raubt das den Schlaf. Etwa dem Protagonisten von Gianvitos Kurzfilm My Heart Swims in Blood, in dem André Gregory sich unruhig in einem Bett wälzt und in dem Bilder aus dem Alltag herumgeistern, die in einem bizarren Unverhältnis zu den Off-Berichten von Opfern der Kriegsführung in Afghanistan stehen. Menschen bei der Pediküre, Passanten im Regen, ein McDonald's-Schild im Nebel - diese Aufnahmen stehen für Gianvito wohl für die Gedankenlosigkeit ein, mit der das Leben weitergeht, während in Afghanistan gekämpft und getötet wird.

Vietnam wurde vergleichsweise intensiv diskutiert, und die Öffentlichkeit nahm kontrovers daran Anteil. Afghanistan ist scheinbar viel weiter weg, oder umgekehrt: Amerika ist viel weiter weg. Das suggeriert jedenfalls der Titel Far from Afghanistan, der über dem Kompilationsfilm steht, zu dem My Heart Swims in Blood gehört. Das historische Vorbild ist klar: Fern von Vietnam, der 1967 von Chris Marker initiierte Kollektivfilm zum US-imperialistischen Krieg in Südostasien. Zu Far from Afghanistan haben fünf Vertreter eines nun tatsächlich unabhängigen Kinos beigesteuert - neben Gianvito (The Mad Songs of Fer-nanda Hussein) noch Jon Jost, Travis Wilkerson (An Injury to One), Soon-Mi Yoo und Minda Martin.

Thematisch geht es um "kleine Gesten gegen das Vergessen", wie Soon-Mi Yoo dies formuliert, die hinter Vietnam auch noch auf den Koreakrieg zurückgeht. Minda Martin versucht, die Erfahrungen eines Drohnen-Piloten nachvollziehbar zu machen (der ja tatsächlich fern von Afghanistan ist, aber eine tödliche Unmittelbarkeit hat). Travis Wilkerson beschäftigt sich mit den Geschichten, die vier Frauen bezeugen, die in den Bannkreis des Kriegs gerieten, etwa weil ihr Partner ein Soldat war (und keinen anderen Weg sah, als sich das Leben zu nehmen). Die ausgebrannten Gebäude, die Wilkerson auch zeigt, wirken wie Ruinen einer Weltmacht, deren realpolitische Dilemmata in diesem vorwiegend radikaloppositionellen Film schon als falsche Alternativen gesehen werden. (Bert Rebhandl, Spezial, DER STANDARD, 25./26.10.2012)