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Wesal Azimi lebt seit September 2011 in Wien. Im Sommer besuchte der 15-Jährige seine Familie, die in einem Dorf 80 Kilometer nordöstlich von Kabul lebt.

Foto: reuters/ismael

Kapisa bei Kabul - Afghanistan ist ein vom Krieg zerrüttetes Land, das seit 30 Jahren nicht zur Ruhe kommt. Armut und Angst beherrschen die meisten Gebiete. Wir alle kennen die Bilder aus den Fernsehnachrichten. Doch was ist das Schicksal der Jugendlichen?

Während das hochmoderne Schulsystem in Österreich für manche Schüler nur Zeitvertreib ist, anderen gar zum Verhängnis wird, erscheint den Kindern in Afghanistan ein solches Schulleben als unerreichbarer Traum.

Viele müssen jeden Morgen für ihren Schulweg etliche Kilometer zu Fuß zurücklegen, oft auf steinigen und holprigen Pfaden. Die Schulen haben weder Turnhallen noch Musik- oder Computerräume. In den Klassen lernen durchschnittlich 50 bis 60 Schüler, da es auf dem Land nur wenige Schulen gibt und die Räumlichkeiten knapp sind. Viele Schulen haben löchrige Fenster und kaputte Mauern, denn für das Renovieren wird kein Geld zur Verfügung gestellt.

Auch wenn das Thermometer im Sommer auf über 40 Grad klettert, gibt es für die Schüler kein Hitzefrei. Dafür haben sie die drei Wintermonate über keinen Unterricht. Der Winter in Afghanistan ist nämlich bitterkalt, hohe Minusgrade sind die Regel. Doch für das Heizen der Klassenräume mit Holzöfen fehlt freilich das Geld, von ordentlichen Heizungen ganz zu schweigen.

Vier Euro Tageslohn

Kinder und Jugendliche, die in Afghanistan in die Schule gehen, können dennoch froh sein - viele Gleichaltrige müssen den ganzen Tag arbeiten. Ohne ihren Mitverdienst hat die Familie oft nicht genug Geld für die Miete und tägliche Nahrung. Laut Schätzungen besuchen rund viereinhalb Millionen Jugendliche im Land keine Schule.

Besonders hart haben es die, deren Väter nicht arbeiten können oder im Krieg gefallen sind. Da die meisten Mütter Hausfrauen sind, müssen sie sich ganz allein um den Geldverdienst der Familie kümmern.

Jugendliche können als Lehrlinge bei Mechanikern arbeiten oder einen Arbeitsplatz bei Geschäftsleuten finden. Manche versuchen im Nachbarland Iran einen Job zu finden, etwa am Bau. Andere fliehen in den Westen. Die Jüngeren, die unter zwölf sind, finden selten eine Stelle zum Arbeiten. Meist stehen sie von frühmorgens bis abends am Markt und verkaufen Plastiksackerln, die sie vorher aus dem Müll gefischt haben, und verdienen so bis zu vier Euro am Tag. Auch zu Hause müssen die Kinder mit anpacken. Viele Häuser haben keine Wasserleitungen, deshalb holt man das Wasser von Brunnen oder aus öffentlich aufgestellten Wasserhähnen. Da es die nicht überall gibt, versorgen sich viele Familien vom nächstgelegenen Bach. Leute aus der Hauptstadt Kabul, die sich an den umliegenden Bergen angesiedelt haben, weil die Miete in der Innenstadt zu hoch ist, müssen das Wasser täglich die steilen Berghänge hinauftragen.

In den letzten Jahren hat sich auch einiges zum Positiven entwickelt: Vor vier Jahren etwa hatten Kleinstädte in Afghanistan nur vier bis fünf Stunden Strom am Abend. Heute kann jeder Haushalt für umgerechnet zehn Euro bis zu 20 Stunden über Strom verfügen. Wohlhabende Familien errichten kleine Solaranlagen zur Stromerzeugung, da es in Afghanistan oft sonnig ist.

Obwohl die Menschen weit unter unserem Lebensstandard liegen, sind die Herzen der Kinder und Jugendlichen doch voller Hoffnung: auf eine friedliche Zukunft, eine gute Ausbildung, einem sicheren Arbeitsplatz und eine gute Entlohnung. (Wesal Azimi, DER STANDARD, 24.10.2012)