Das Ganges-Delta auf einer Aufnahme des Esa-Umweltsatelliten Envisat. Weiße Flecken, die es noch zu vermessen gibt, werden weniger.

Foto: ESA/Envisat

Alexander von Humboldt sollte recht behalten. In drei Tagen werde Land auftauchen - er habe Messungen angestellt, und dies seien die Ergebnisse seiner Berechnungen. Der Kapitän des Schiffes, das Humboldt in die Neue Welt bringen sollte, glaubte ihm nicht. Und war deshalb nicht wenig erstaunt, als nach dem von Humboldt vorausgesagten Zeitraum tatsächlich die Küste von Trinidad am Horizont auftauchte. "Aber die Seekarten ...", sagte der Kapitän. "Ungenau", erwiderte Humboldt. - So oder so ähnlich könnte es gewesen sein.

Literarisch verknüpft

Nachzulesen ist diese Episode in Daniel Kehlmanns Roman Die Vermessung der Welt (2005), der die wissenschaftlichen Errungenschaften und Biografien des Naturforschers und Mitbegründers der Geografie als empirische Wissenschaft, Alexander von Humboldt (1769-1859), und des Mathematikers, Astronomen, Geodäten und Physikers Carl Friedrich Gauß (1777-1855) literarisch miteinander verknüpft. Morgen, Donnerstag, kommt die Verfilmung des Werks in die heimischen Kinos.

Humboldt, so schreibt Kehlmann und ist es auch historisch verbürgt, habe die damals modernsten und genauesten Messgeräte auf seiner Amerika-Expedition mitgenommen. Gerätschaften mit wunderlichen, die Fantasie anregenden Namen, zum Beispiel ein Hypsometer zur Messung des Wassersiedepunktes, ein Theodolit für die Landvermessung, ein Inklinatorium, um die Stärke des Erdmagnetismus zu bestimmen, ein Eudiometer zur Messung des Sauerstoffgehalts der Luft, ein Spiegelsextant mit künstlichem Horizont, ein faltbarer Taschensextant und zwei teure französische Uhren.

Tatsächlich würden auch heute noch Sextant und Chronometer genügen, um Längen- und Breitengrad auf hoher See zu ermitteln. Inzwischen gibt es aber auch ein elektronisches, computergestütztes Navigationssystem von der Größe einer Zigarettenschachtel, um mithilfe von Satelliten die eigene Position punktgenau bestimmen zu können, egal ob zu Lande oder auf See.

Das sogenannte Global Positioning System (GPS) US-amerikanischer Provenienz besteht aus einem Verbund von derzeit über 30 Satelliten, die in 20.200 Kilometer Höhe die Erde umrunden. Die Satelliten senden Radiosignale, aus denen ein GPS-Empfänger den jeweiligen Standort errechnet. Dazu wird die Zeit bestimmt, die die Radiowellen vom Satelliten bis zum Gerät brauchen.

Im Schnitt beträgt die Laufzeit nur rund 0,07 Sekunden, die Uhren von Gerät und Satellit sollen daher möglichst genau sein. Für eine Standortbestimmung sind vier Satelliten nötig. Zusätzlich können die Geschwindigkeit des Benutzers und die Bewegungsrichtung ermittelt werden. Damit erhält man einen künstlichen Kompass.

Die Vermessung der Erde und die eigene Positionsbestimmung sind dank des Einsatzes von Hochtechnologien heute also ein Kinderspiel. Schließlich wird jedes Smartphone mit GPS ausgeliefert, jeder bessere Mittelklassewagen ist damit bestückt. Das spiegelt die enorme Bedeutung wider, die der Satellitennavigation inzwischen zukommt. Nicht nur der zivile Luft-, Land- und Seeverkehr ist davon abhängig, sondern auch die Bauindustrie, das Landvermessungs- und Katasteramtswesen, die Fischerei, die Umweltkontrolle, die Landwirtschaft und zahllose weitere Bereiche.

GPS ist überall

"Auf diesen Massenmarkt zielt Galileo, das europäische Satellitennavigationssystem, ab", schildert Bernhard Hofmann-Wellenhof vom Institut für Navigation der TU Graz. Er misst dem System deshalb hohe Bedeutung zu - jetzt, wo dessen Einsatz absehbar wird: Denn vor nicht ganz zwei Wochen startete eine russische Sojus-Rakete vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana mit zwei weiteren Galileo-Satelliten.

Zusammen mit den beiden bereits im All platzierten Satelliten könne das System bald zum ersten Mal getestet werden, sagt der Leiter des Galileo-Programms bei der Europäischen Raumfahrtagentur Esa, Didier Faivre. Frühestens ab Februar soll es dann so weit sein: Das Galileo-System könne in seine Erprobungsphase gehen.

In den kommenden Jahren werden dem Plan zufolge weitere Satelliten ins All geschossen, insgesamt 30 sollen es einmal sein. Nach Angaben des Galileo-Programmleiters bei der Europäischen Kommission, Paul Flament, soll das Navigationssystem von 2014 an zuverlässig arbeiten - und so eine Alternative zum vom US-Militär betriebenen System GPS bieten.

"Galileo kommt gerade noch rechtzeitig", bemerkt Hofmann-Wellenhof. Er spielt damit einerseits auf die zahlreichen Verzögerungen in der Systementwicklung und andererseits auf die Modernisierung der bestehenden Systeme an. "Galileo wurde als ziviles Navigationssystem so konzipiert, dass es den bestehenden militärischen Systemen wie GPS und dem russischen Glonass überlegen war. Man erwartet, dass im Schlüsseljahr 2020, in dem die Modernisierung der anderen Systeme abgeschlossen sein soll, auch Galileo voll betriebsbereit sein wird."

Zudem tritt im Wettbewerb um ein Milliardengeschäft mit dem chinesischen System "Compass" ein weiterer Konkurrent auf den Plan: Bis 2020 wird der Markt für globale Satellitennavigation annähernd 240 Milliarden Euro erreichen und etwa sieben Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts ausmachen, rechnet die EU anlässlich der Wanderausstellung "European Space Expo" vor. Diese macht noch bis 26. Oktober in Wien Station und soll Bürgern in ganz Europa die Vorzüge europäischer Weltraumprojekte näherbringen.

Herkömmliche GPS-Navigation stößt zum Beispiel in dicht bebauten Gebieten oder auch im Gebirge an seine Leistungsgrenze, weil Abschattungen der Signale auftreten. Hier bieten entweder integrierte Positionierungssysteme Abhilfe, die auf weitere Sensoren zurückgreifen, oder die Kombination etwa von Galileo und GPS, wodurch die Anzahl der Satelliten verdoppelt wird.

Die Kombination macht's

"Durch die Kombination der drei Systeme GPS, Glonass und Galileo wird die Messung nicht signifikant genauer, aber die Chance, ausreichend Satelliten auch in schwierigem Gelände verfügbar zu haben, wird viel größer", sagt Hofmann-Wellenhof, der als Forschungspartner an zahlreichen einschlägigen Projekten im Rahmen des Austrian Space Programme (Asap) des Verkehrsministeriums beteiligt war. Schon mit dem europäischen Ergänzungsdienst Egnos, der 2009 in Betrieb gegangen ist, habe sich die mit GPS-Signalen erzielbare Positionsgenauigkeit signifikant auf etwa ein bis zwei Meter verbessert. Hofmann-Wellenhof sieht in Entwicklungsländern noch "weiße Flecken", die man noch vermessen könne. "In Österreich sind wir, was das Katasterwesen, also das Grundstückseigentum betrifft, ausgezeichnet positioniert."

Als Vermesser steht er in der Tradition von Gauß: Auch der "Fürst der Mathematiker" war im Vermessungswesen tätig und hat dafür ein eigenes Instrument erfunden - welches, das kann man in Kehlmanns Buch nachlesen oder eben in Kürze im Kino sehen. (Markus Böhm, DER STANDARD, 24.10.2012)