Das Wort ist längst zu einem Synonym für den Kampf um Reformen in der römisch-katholischen Kirche geworden: "Ungehorsam", heißt nun auch ein Sammelband, herausgegeben von der Psychotherapeutin Rotraud Perner und dem früheren VP-Volksanwalt und Mitglied der Laieninitiative Herbert Kohlmaier (ÖVP). Gedacht als Festschrift für den Sprecher der Pfarrerinitiative, Helmut Schüller, anlässlich dessen 60. Geburtstags, ist es vielmehr eine Kampfschrift geworden - gegen, wie der Historiker Hubert Christian Ehalt in seinem Beitrag schreibt, "das barbarische Prinzip 'Gehorsam'", denn Kontrolle und Disziplin seien "die sozialingenieurmäßigen Instrumente, Gesellschaft hierarchisch zu organisieren". Gehorsam gegen jede Vernunft müsse man dorthin " verweisen, wo er hingehört: in den Bereich des Abgestorbenen, einer Geschichte, deren Wiederkehr wir verhindern müssen".
Neben den schnörkellosen Gedanken ist eine Stärke des Buches, dass der Gehorsamsbegriff breiter diskutiert wird. Standard-Redakteurin Irene Brickner fragt etwa, ob es heute in Österreich nicht eines politisch berechtigten Ungehorsams bedürfe - als Beispiel dient ihr der Asylbereich. Und sie fragt des Weiteren, ob "die Abschiebepraxis in der EU noch zeitgemäß ist".
Was Ehalt allgemein über "Machtstrukturen" schreibt, greift der ehemalige ÖVP-Chef Erhard Busek bei der Kirche an. Der Pfarrerinitiative stellt er ein gutes Zeugnis aus, den Kirchenoberen dementsprechend nicht: In der Frage des Ungehorsams gehe es "nicht darum, den Demokratiezustand der Kirche zu prüfen, sondern schlicht und einfach um das Überleben jener Funktionen, die eine Pastorale, also die Tätigkeit von 'guten Hirten' sichern." In der Kirche herrsche ein "Notzustand" und er wundere sich, dass die "Gewissensnot" der ungehorsamen Pfarrer seitens der Kirchenführung nicht besser verstanden werde. Mehr kann sich Helmut Schüller wohl nicht zum Geburtstag wünschen. (Peter Mayr, DER STANDARD, 24.10.2012)