Südburgenländische Weidegänse bei der Arbeit.

Foto: Katharina Seiser / http://www.esskultur.at

Diese besteht im Wesentlichen daraus, ordentlich Gewicht und Geschmack anzusetzen, damit sie zu Martini in ihrer ganzen Pracht ihrer Bestimmung zugeführt werden können - der Hitze des Rohrs und dem Wohlgefallen der Geladenen.

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Wer so eine Gans will, muss sie sich schon holen kommen.

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Herta Schneider aus Eisenberg im Südburgenland hält 1200 Weidegänse. Ihr Hof steht Kunden gegen Voranmeldung offen - so kann jeder sehen, wie sein Gansl groß wurde.

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Wer sich hinhockerlt und mit ihnen auf Augenhöhe begibt, wird neugierig umrundet. Aber im Gegensatz zu ihren großen Cousins, den wehrhaften Schwänen, bleiben Gänse lieber ein wenig auf Distanz. Die Herdentiere bewegen sich wie ferngesteuert in Formationen. Diese Anmut ist den bratfertigen Gänsen nicht mehr anzusehen. Aber immerhin kann man den Festtagsbraten, bevor er in einen solchen verwandelt wird, jetzt im Südburgenland auf der Weide besuchen und - nach Vorbestellung - auch mitnehmen.

"Die Tiere reagieren auf die Stimme", sagt Herta Schneider, die seit neun Jahren in Eisenberg Weidegänse hält und mit heuer 1200 Tieren der größte Betrieb in der Region ist. Gemeinsam mit 18 anderen Bäuerinnen und Bauern hat sie sich verpflichtet, nach den Richtlinien der "Südburgenländischen Weidegans" zu arbeiten. Zu sehen gibt es auf der Gänseweide nicht viel: grünen Klee, Trinkwasser, Getreide und eine offene Stalltür, um den Tieren jederzeit einen Rückzug zu ermöglichen. Die Zäune sind so niedrig, dass ein Mensch leicht darübersteigen kann. Die Hausgänse können weder fliegen, noch sind sie darauf aus, die Gegend jenseits ihres Futterplatzes zu erkunden. "900 Gänse haben wir auf dieser Weide", deutet die Bäuerin quer über die im dichten Nebel liegende Wiese, "die anderen 300 stehen oben hinterm Haus, die haben wir erst später eingestellt, damit sie zu Weihnachten fertig sind." Die Frage ist nur: Wo sind die 900 Tiere? Denn ungeübte Augen unterschätzen die Anzahl der in Scharen stehenden oder sitzenden, jedenfalls stets leise schnatternden Gänse immer.

"Österreichische Weidegans"

Das Projekt "Österreichische Weidegans" gibt es seit 20 Jahren, neun regionale Erzeugerringe, die meisten davon in Oberösterreich, kommen auf insgesamt 29.000 Gänse, die heuer im Mai in 200 Betrieben österreichweit eingestallt und nach den selbstauferlegten, gemeinsamen Richtlinien aufgezogen wurden. Doch diese Gänse sind nur ein Drittel aller in Österreich gehaltenen und nur wenige Prozent der jetzt im November und Dezember in Österreich gegessenen. Der weitaus größte Teil wird aus Frankreich, Ungarn oder Polen importiert.

Ginge es nach Sigi Marth, Biobauer und Sprecher der "Südburgenländischen Weidegans" (einer der Erzeugerringe), sollten es ohnehin viel mehr sein. Heuer wurden in den 19 südburgenländischen Weidegansbetrieben, sechs davon Bio, 4145 Tiere eingestellt. 2002 ging man noch von 20.000 Gänsen als Ziel aus. Aber als damals ein paar mutige Bäuerinnen und Bauern in den Bezirken Oberwart, Güssing und Jennersdorf vorpreschten, um auch hier auf den hügeligen Brachflächen Gänse weiden zu lassen, hatten sie die Rechnung ohne die Wirte gemacht. Den meisten Gastronomiebetrieben waren - und sind - echte Weidegänse nämlich zu teuer.

Schlachtgewicht von rund vier Kilo

Eine Weidegans muss ab dem Alter von sechs Wochen täglichen Weidezugang (und nicht bloß Auslauf) und zusätzlich zum Gras ausschließlich regionales Getreide, am besten vom eigenen Hof, bekommen. Im Gegensatz zur normalen Gans braucht sie mehr als doppelt so lang, nämlich bis zu 26 Wochen, bis sie das Schlachtgewicht von rund vier Kilo erreichen. Pro Hektar dürfen maximal 100 Gänse gehalten werden. Bei Sigi Marth überzieht ein fast unsichtbares Netz aus niedrigen Elektrozäunen die vielen Hektar Weideflächen mit zum Teil altem Baumbestand. Die Gänse bewegen sich wie von Geisterhand gesteuert auf einer Art Landebahn zwischen Stall und grüner Wiese. "Alle zwei bis drei Wochen wechseln wir den Weidestandort, indem wir die Zäune umstecken", erzählt Marth, "möglichst bevor die Gänse den Klee bis auf die Wurzel ausgerupft haben."

Wenn Gänse nicht fressen, dann sind sie an der Wasserquelle zu finden. Einer der wesentlichen Unterschiede von konventionell gehaltenen Weidegänsen zu Bioweidegänsen - beide die Ausnahme in Österreich und beide über die gemeinsame Dachmarke "Österreichische Weidegans" organisiert - ist neben dem Futter die Tatsache, dass diese stets Zugang zu einer Bademöglichkeit haben müssen. Für Wassergeflügel eigentlich logisch, aber aus Hygienegründen nicht selbstverständlich.

Abends kommen die Gänse freiwillig zum Stall, sie reagieren auf Dämmerlicht. "Wir haben hier eine Vielzahl natürlicher Gänsefeinde wie Fuchs, streunende Hunde, Fischotter, Marderhund oder Dachs", begründet Marth die nächtliche Stallhaltung. Außerdem wurden nicht erst einmal einige der wertvollen Tiere gestohlen. Ihr Fleisch ist nach einem halben Jahr Weidehaltung kurzfaserig, dunkel, aromatisch und wenig fett. Kein Vergleich zu den öligen, schwammigen Gänsen, die in den meisten Wirtshäusern in Österreich auf den Tisch kommen. Nicht, weil es keine anderen gäbe, sondern weil die Bereitschaft, für ein anständig gehaltenes Tier, das man ohnehin nur einmal im Jahr isst, auch einen fairen Preis zu zahlen, hierzulande nicht so verbreitet ist. Es gibt in ganz Österreich nur mehr eine Brüterei in der Steiermark. Von dort kommen alle Gössel der "Dänischen", wie die gängige, fast immer weiße Rasse genannt wird.

Das Wichtigste ist Licht

Die Eigenversorgungsquote bei Gänsen ist zwar gestiegen, beträgt aber immer noch bloß 19 Prozent. Vier von fünf Martinigänsen kommen aus dem Ausland. Wie die Tiere anderswo in Ställen gehalten werden, gefällt Herta Schneider nicht, die zu schnelle Mast, der wenige Platz, das fehlende Tageslicht - sie könne sich nicht vorstellen, dass diese Bedingungen artgerecht sind. Denn wenn die Bäuerin ihren Gänsen in der Früh das Stalltor zur Weide öffnet, tut sie das aus Überzeugung: "Das Wichtigste, was die Viecher brauchen, ist Licht." Geschlachtet wird im soeben fertiggestellten EU-Schlachthof neben der Weide. Tiertransporte gibt's hier keine. Die Hälfte der Gänse geht an regionale Gastronomiebetriebe mit Qualitätsbewusstsein wie Wachter-Wieslers Ratschen oder den Stadtwirt in Oberwart. Die andere Hälfte wird ab Hof an Privatkunden verkauft. "Die fragen gar nicht mehr nach dem Preis", betont auch Marth, "wenn sie die Tiere einmal über die Weide watscheln gesehen haben."

Herta Schneider füttert zusätzlich zur Weide nur hofeigenen Hafer - so viel die Tiere wollen. Und Mais? "Kommt nicht infrage, ich will ja keine fetten Gänse!" Apropos Fett: Natürlich wurden sie und Marth und all die anderen Mitglieder schon gefragt, ob sie nicht auch Gänse zwecks Gansleber mästen wollten - ohne sie zu stopfen. Wollen sie nicht, denn die Gans bestehe nicht nur aus Leber, man halte doch keine Tiere bloß für ein einziges Organ. "Jede ab Hof gekaufte, bratfertige Weidegans wird mit Magen, Herz und Leber ausgeliefert", erklärt Marth, das stehe auch so in den Produktionsrichtlinien. Ihm ist eben wichtig, dass seine Gänse nicht als bloße Delikatessenlieferanten missbraucht würden, sondern als ganze Tiere, die auch in ihrer ganzen Pracht zu Tisch gebracht werden sollen.

Wer sich die Freude macht, seine Martinigans selbst vor Ort abzuholen, erlebt diese prächtigen Tiere also nicht nur in ihrer natürlichen Umgebung und kann sich selbst ein Bild davon machen, warum hohe Qualität auch mehr kosten muss - er bekommt auch die Zutat für eine wirklich exquisite Vorspeise für den Festtagsbraten mitgeliefert. (Katharina Seiser, Rondo, DER STANDARD, 25.10.2012)