Schuhe stehen ordentlich im Gemeinschaftsraum einer jungen WG im Citycom2: Die Wohnanlage bietet neue Formen des Zusammenlebens.

Foto: STANDARD/Newald

Als junger Student machte Michael Pech erste Erfahrungen mit einer WG. Er erhielt bei gleichen Kosten das kleinste Zimmer, musste einen neuen Kühlschrank kaufen, als der Vormieter den alten mitnahm, und erhielt beim Auszug die Kaution nie zurück.

Jahrzehnte später konnte Pech etwas tun, damit heutigen WG-Bewohnern diese Ungerechtigkeiten erspart bleiben. Sein Österreichisches Siedlungswerk (ÖSW) errichtete am Gelände des ehema ligen Wiener Nordbahnhofs ein Wohnhaus für WGs mit rechtlich abgesicherten Verhältnissen, wo nicht die Hauptmiete in der Hand eines Bewohners ist. Vergleichbares habe es damals nicht gegeben.

"Wir haben damals gar nicht gewusst, worauf wie uns einlassen", beschrieb Pech beim Wohnsymposium die Erfahrungen mit Citycom2 (siehe Seite 32). Bewohner erhalten einen dreischichtigen Mietvertrag: einen unbefristeten Nutzungsvertrag fürs eigene Zimmer, dann einen für die Mitbenutzung der WG-Gemeinschaftsräume, und schließlich einen dritten für die allgemeinen Einrichtungen im Gebäude. Die Verträge unterliegen nicht dem Mietrechtsgesetz, sondern dem ABGB; dennoch gab es Fördermittel.

Anfangs gab es bei der Belegung Probleme, weil einige Zimmer zunächst leer blieben und die ersten WG-Bewohner kein Interesse hatten, dass auch diese Räume vermietet werden. Aber inzwischen ist das Haus voll, und die hohe Fluktuation sei kein Problem, sagt Pech. Die jüngsten Mieter sind 18, die ältesten 47, aber das werde sich ändern, ist er überzeugt. "Es ist derzeit eine Wohnform für Junge und Junggebliebene, wird aber auch einmal auch eine Alters-WG werden."

Räume der Begegnung

Mit Alters-WG hat Michael König, Geschäftsführer des Diakonie-Zentrums Salzburg, Erfahrung. Vor zehn Jahren hätte sich die Diakonie von klassischen Seniorenheimen verabschiedet und stattdessen Hausgemeinschaften geschaffen. Derzeit entwickelt die Lebenswelt Wohnen, an der die Diakonie beteiligt ist, drei sogenannte Wohnquartiere, wo "ältere Menschen zwar allein leben können, aber nicht einsam werden". Dies seien keine WGs, sondern Räume der Begegnung, vor allem in der gemeinsamen Wohnküche. Das Ziel sei, "soziale Milieus mit schützendem Charakter zu schaffen", erläuterte König die Philosophie dahinter. Er rechne insgesamt mit einem Rückgang bei der Nachfrage nach Seniorenheimplätzen in Österreich und einer Ausbreitung von Alternativen; dies sei bereits in Deutschland und der Schweiz zu beobachten.

Auch der frühere Bahngewerkschaftschef Wilhelm Haberzettl denkt in seiner neuen Funktion als Chef der Baugenossenschaft BWSG über neue Wohnmodelle nach. "Wir können uns von der klassischen WG verabschieden. Die heutige Wohnhausanlage soll zulassen, allein zu wohnen und dennoch auch gemeinsam."

Verwirklicht werden diese Vorstellungen zunächst am Hauptbahnhof, wo die BWSG im gerade im Bau befindlichen Wohnprojekt So.vie.so Mitbestimmung und Gemeinschaft verwirklichen will. Und Lehren daraus sollen nach dem Erfolg bei einem Wettbewerb in einer Wohnanlage in der Seestadt Aspern zur Anwendung kommen. "Das sind erst Denkansätze", betonte Haberzettl, der für die SPÖ im Nationalrat sitzt. "Wo dieses Abenteuer endet, wage ich noch nicht zu sagen."

Fehlende Stadteinbindung

Eine solche Zukunftsvision integrativer Lebensgestaltung wurde bereits vor 15 Jahren im Wohnprojekt Sargfabrik in Wien-Penzing verwirklicht. Der Architekt Johnny Winter, der an der Planung beteiligt war, klingt heute allerdings um vieles pessimistischer. Der Sargfabrik fehlt es an Einbindung in den städtischen Raum, was die öffentliche Hand in der Stadtplanung verabsäumt hätte. Das Haupthindernis bei der Verwirklichung innovativer Konzepte sei nicht das Fehlen von Ideen, sondern von Geld. "Für sehr viele Menschen ist es nicht die Frage, was will ich, sondern, was kann ich mir gerade noch leisten in meiner Situation, wie immer die Situation ist", sagte Winter. (Eric Frey, DER STANDARD, 24.10.2012)