Rom - Am Montag hat ein italienisches Gericht sieben Mitarbeiter des Katastrophenschutzes wegen Totschlags zu sechs Jahren Haft verurteilt hat. Die sechs Wissenschafter und ein Beamter wurden für schuldig erklärt, weil sie die Bevölkerung der Stadt L'Aquila nicht hinreichend vor einem Erdbeben gewarnt haben sollen. Die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft hat nun empört auf das Urteil reagiert, US-Wissenschafter der "Union of Concerned Scientists" bezeichneten das Urteil des Gerichts in L'Aquila als "absurd und gefährlich".

Die Forscher riefen den italienischen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano dazu auf, Position gegen das Urteil zu beziehen. Eine drohende Strafverfolgung könnte Wissenschafter daran hindern, Regierungen zu beraten und sich bei der Einschätzung von Risiken festzulegen, hieß es.

"Was wäre, wenn eine Regierung Meteorologen vor Gericht zerren würde, weil sie nicht die genaue Route eines Tornados vorhergesehen haben? Wissenschafter haben das Recht mitzuteilen, was sie wissen, und was sie nicht wissen, ohne Angst vor Prozessen zu haben", hieß es in einer Stellungnahme der US-Wissenschafter.

Verurteilter Geophysiker erschüttert

Der Ex-Präsident des italienischen Instituts für Geophysik und Vulkanologie, Enzo Boschi, zeigte sich wegen seiner Verurteilung erschüttert. "Ich begreife immer noch nicht, was man mir vorwirft. Dabei habe ich mein ganzes Leben der Erdbebenforschung gewidmet", kommentierte Boschi. Es sei unmöglich, Erdbeben vorherzusehen. "Niemand in der wissenschaftlichen Welt wird etwas anderes behaupten", betonte Boschi.

Laut dem Gericht sei die betroffene Region zu wenig über die Erdbebengefahr informiert worden. Bei der Naturkatastrophe vor dreieinhalb Jahren waren mehr als 300 Menschen ums Leben gekommen und über 1.000 Menschen verletzt worden. Das Beben in L'Aquila hatte eine Stärke von 6,3.

Urteil nicht rechtskräftig

Das Urteil gegen die sieben Experten ist nicht rechtskräftig. Die Angeklagten dürften Rechtsmittel einlegen. Die Richter, die mit dem Strafmaß zwei Jahre über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinausgingen, hätten ein Fehlurteil gefällt, kritisierte ein Verteidiger.

Auch die Ankläger hatten argumentiert, Wissenschafter könnten keine präzisen Vorhersagen über Beben machen. Dennoch hätten die Angeklagten die Bevölkerung nicht vollständig und zudem nicht eindeutig vor den heftigen Erdverschiebungen gewarnt, die nach mehreren kleineren Beben zu erwarten gewesen seien. Angehörige der Opfer begrüßten dagegen das Urteil. (APA/red, derstandard.at, 23.10.2012)