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Ein Soldat betet.

Foto:Bernat Armangue, File/AP/dapd

Unangenehme Themen werden von amtierenden Regierungen im Wahlkampf meist vermieden. So ist das auch in Israel, wo bereits am 22. Jänner vorgezogene Neuwahlen stattfinden sollen. Dabei sind nicht nur die Sparmaßnahmen zur Budgetsanierung auf die Zeit nach der Wahl verschoben worden, sondern auch die geplante Wehrpflicht für ultraorthodoxe Juden. Die streng religiösen Staatsbürger sind bisher vom Armeedienst ausgenommen, sofern sie Vollzeit die jüdische Religion studieren. Ob sie alle bald zum Militär müssen, könnte im bevorstehenden Wahlkampf heiß diskutiert werden. Die Ultraorthodoxen selbst fürchten, dass auf ihre Kosten unnötig polarisiert wird.

"Ich habe gehört, dass Verteidigungsminister Ehud Barak mit der Wehrpflicht Ernst machen will. Das ist politisch kalkuliert und soll ihm Wählerstimmen bringen", sagt der orthodoxe Israeli David Tamari. "Wenn sie daraus einen Kampf machen wollen, gibt es am Ende einen Bruderkrieg." Eigentlich hätte der heute 27-Jährige vor zehn Jahren als Student einer Religionsschule nicht zum Militär müssen. Doch ein langer Auslandsaufenthalt hat seine Ausnahme verjähren lassen, und er wurde eingezogen. Wie viele andere Rekruten hat er nach der Grundausbildung einen Beruf gelernt, als Buchhalter in Uniform.

"Die Armee und das ultraorthodoxe Leben schließen sich nicht aus", sagt Tamari, der sich etwas weniger streng kleidet als viele in seiner Gemeinschaft. "Man kann alle religiösen Pflichten befolgen und trotzdem dienen."

Die von den Ultrakonservativen geforderte Geschlechtertrennung sei auch kein großes Problem. Immerhin sehen sich auch im Alltag Männer und Frauen auf der Straße gegenüber oder kaufen nebeneinander ein. Tamari sieht in der Armee auch einen Weg in die Arbeitswelt für junge orthodoxe Männer. "Für viele 18-Jährige wäre es viel besser, in der Armee zu sein. Dort würden sie sich daran gewöhnen zu arbeiten, und das öffnet ihnen Türen in die Außenwelt", sagt er.

Uneinigkeit 

Tamari ist einer von vielen orthodoxen Juden, die sich einer Art Mini-Aufklärung verschrieben haben und versuchen, die Isolation ihrer Gemeinschaft zu lockern. Dem stimmen viele Ultraorthodoxe nicht zu.

"Das Militär ist für uns nicht bloß eine politische Frage. Schau dir an, wie ich gekleidet bin. Kleider, die nicht für die Außenwelt gemacht sind. Wir versuchen, anders zu sein. Und wir verteidigen uns bewusst gegen Assimilation", sagt Eli Linker, der Vollzeit in einem Kollel, einer fortgeschrittenen Religionsschule, studiert. Ginge es nach ihm, wäre der Platz der Ultraorthodoxen nicht in Kampfeinheiten der Armee, sondern auf einer spirituellen Ebene. Statt des Religionsstudiums zum Militär zu gehen sei inakzeptabel. Dabei gehe es auch darum, das ursprüngliche Judentum zu bewahren und vor der Assimilation an die moderne Welt zu bewahren. "Da geht es nicht nur um Politik. Der Streit um die Wehrpflicht hat mit der Aufklärung in Europa begonnen."

Der ultraorthodoxe Publizist und Autor Moshe Grylak sieht in der Diskussion ebenfalls Fronten aufeinanderprallen. "Das ist ein Konflikt darüber, wem das Haus gehört", sagt der Chefredakteur des religiösen israelischen Magazins "Mishpacha". Mit Haus meint er Israel. Und ginge es nach ihm, hätten dort nicht die säkularen Politiker, sondern die Torah-Studenten und ihre spirituellen Anführer das Sagen. "Die Politik kommt ja nicht und fragt uns um Rat. Sie fordern die Wehrpflicht. Aber ich stehe nicht unter ihnen, bin nicht niedriger. Was wir sehen, ist ein Konflikt zwischen zwei Kulturen, zwischen der säkularen und der ursprünglichen Kultur der Torah", sagt Grylak.

Die meisten Israelis würden ihm recht geben: Für 71 Prozent der Befragten einer Studie aus dem September ist der Konflikt zwischen Säkularen und Religiösen der schlimmste in der israelischen Gesellschaft. 83 Prozent fordern ein Ende der Ausnahme von der Wehrpflicht. (Andreas Hackl, derStandard.at, 22.10.2012)