Mit schillernden Kostümen und der Aufhebung geschlechts- spezifischer Zuschreibungen hinterließ Leigh Bowery seine Spuren im England von Margaret Thatcher und darüber hinaus. Die Kunsthalle Wien würdigt sein Erbe.

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Wien - Da scheint etwas nicht zu passen. Der Ausstellungsraum der Kunsthalle Wien taucht die Präsentation Xtravaganza. Staging Leigh Bowery in dezentes Halbdunkel. Die schrillen Outfits des Pop-Performers in einem streng gegliederten, gedämpften Ambiente, das ist ein Statement. Aber welches?

Der aus Melbourne stammende Leigh Bowery starb 1994 mit nur 33 Jahren an den Folgen von Aids. Hinterlassen hat er fantastische Kostüme und eine breite Spur in der Kunst-, Mode- und Medienproduktion, die Modeschöpfer und Künstler wie Alexander McQueen, Lucian Freud oder Annie Leibovitz beeinflusst hat. Dabei war Bowery kein Modedesigner, sondern Selbstdarsteller, ein Verwandlungskünstler, ein Provokateur.

In Margaret Thatchers England trat der Wahllondoner in Clubs, Bühnen- und Fernsehshows oder auf der Straße auf. Er irritierte sein Publikum etwa mit einem Ganzkörperanzug, auf dem groß "Cunt" geschrieben stand. Oder mit einer Performance, bei der er sich in wechselnden Kostümen hinter einer halbdurchsichtigen Glaswand präsentierte: Das Publikum konnte ihn beobachten, er begutachtete nur sich und seine Posen im Spiegel.

Bowery bewunderte die Figur der Divine aus den Filmen von John Waters, er selbst wurde zum Idol einer Zeit, in der mit Punk, Spaß und Drogen eine hedonistische Revolution geprobt wurde. Er nutzte Drag und Exzess als Ausdrucksform und zur Förderung allgemeiner Enthemmung. Dafür verwendete der Vollschlanke in seinen Performances so viel Sex, Gewalt und Körperflüssigkeiten wie möglich: "Urin, Kotze, Darmspülungen und künstliches Blut." Man kann sagen: Er holte alles aus seinem Körper heraus. Und das war nicht nur der brachiale Tabubruch in der Veräußerung von Körpersäften, sondern auch ein Bruch mit dem gängigen Erscheinungsbild eines in die Gesellschaft passenden Individuums.

Denn in Leigh Bowerys Kostümierungen verschwanden weibliche oder männliche Identitäten. In einer systematischen Überschreitung von bravem Crossdressing generierte er Gestalten, die sich nicht mehr einordnen ließen: Bunte Glitzermonster auf gewaltigen Plateauschuhen, überbordende Kopfbedeckungen, ausladende Röcke und beunruhigende Masken.

Angela Stief, die Xtravaganza. Staging Leigh Bowery mit Martin Walkner kuratiert hat, stand dem Projekt zuerst skeptisch gegenüber. Denn das Denken in der Kunst hat sich geändert. Für eine Gegenwart, die ihrer komplex gewordenen Welt künstlerisch mit Indirektheit und Vielfalt der Bedeutungen begegnet, sei eine Oberflächenverliebtheit wie jene von Bowery nur schwer zu akzeptieren. Dieser Zugang erklärt die Ausstellungsgestaltung. Das aufmüpfige Spiel mit Drag, Verkleidung und Exaltation hat sich einen Sensationswert erhalten, der heute allzu leicht in Dekoration abgleiten oder gar nostalgische Gefühle wecken kann. Beidem verweigert sich die Ausstellung.

Die präsentierten Kostüme wirken wie Relikte aus einer vergangenen Zeit. Die teils mit alter U-Matic-Technik produzierten Videos erlauben Distanz in der Betrachtung. Paradoxerweise entsteht gerade dadurch eine Nähe zu dem wunderbaren Faszinosum Leigh Bowery. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 20./21.10.2012)