Einsame Idylle: Wenn Gemeinden oder ganze Regionen Einwohner verlieren, bleiben Handel und Gewerbe schnell auf der Strecke.

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Eisenerz - Hinter dem Schienenwalzwerk wird es düster: Verlassene Gasthöfe auf der Wiese, leere Ladenlokale in den Orten, dazwischen zerfallende Reste stolzer Industrie. Die Fahrt auf der Eisenstraße von Leoben nach Norden ist eine Reise in die Vergangenheit. Von Zukunft spürt man nicht viel. Besonders schlimm ist es in Eisenerz. Zwar läuft der Abbau im Erzberg mit gleichbleibender Produktion weiter, beschäftigt sind hier jedoch weniger als 200 Bergarbeiter. Vor 30 Jahren waren es noch 4000.

Eisenerz ist die am stärksten schrumpfende Gemeinde in der am stärksten schrumpfenden Region Österreichs, dem steirischen Mur- und Mürztal. Ein idealer Standort also für die 2. Österreichische Leerstandskonferenz, die vorige Woche hier stattfand. Im Herbst 2011 hatte man sich schon einmal über schrumpfende Regionen ausgetauscht. Heuer ging es explizit um den alpinen Raum.

Hohe Abwanderung in den Tälern

Versucht haben sich daran schon viele: In Eisenerz geben sich die Planer seit Jahren die Klinke in die Hand. Sage und schreibe 69 Studien wurden seit 1973 erstellt. Kein Wunder, dass die 5000 Bewohner, die von den ursprünglich 13.000 übriggeblieben sind, inzwischen an Planungsverdrossenheit leiden.

"Wachstum und Schrumpfung liegen in den Alpen oft unmittelbar beieinander", sagt Judith Leitner von nonconform Architekten, den Initiatoren der Konferenz. Während Metropolregionen wie München, Turin und Wien prosperieren, gehe es vor allem im Süden und Osten bergab. Besonders hoch sei die Abwanderung in den Tälern.

Die Landwirtschaft als Wirtschaftsfaktor, so der Tenor bei der Konferenz, ist hier ökonomisch kaum noch relevant und dient bestenfalls dazu, als rahmende Postkartenidylle die Wege zum Bergtourismus freizuhalten. Die industriell geprägten Regionen in der Steiermark dünnen aus und überaltern. Bleibt als rettender gewerblicher Strohhalm der Tourismus. Doch beim verzweifelten Ringen um Investoren kann es nicht nur Gewinner geben. "Die Wirtschaftskraft konzentriert sich zunehmend in den Metropolregionen", meint Alfons Dworsky, emeritierter Professor für Bauen im ländlichen Raum an der TU Wien, "während in deren alpinem Hinterhof die Anzahl der Orte mit geringer infrastruktureller Ausstattung zunehmend steigt." Aus diesem Grund stünden diese Orte in immer stärkerer Konkurrenz um immer weniger Interessenten.

Abwärtsspirale stoppen

"Die Wunschliste an den Weihnachtsmann wird's nicht spielen", so Dworsky kurz und bündig. "Es können nicht alle alles haben." Die einzige Chance sei "benutzerdefinierte Standortqualität", also die Entwicklung und Hervorhebung einzelner Merkmale, die für Kunden mit speziellen Interessen attraktiv sind.

Wie also können die Lösungen aussehen? In Eisenerz hat man sich mit der 2006 begonnenen Initiative "Redesign Eisenerz" offensiv der Schrumpfung gestellt. Was das Gewerbe angeht, hofft man auf das "Zentrum am Berg", das montane Kompetenzen wie Rohstoffforschung und Tunnelbau bündeln soll.

"Es geht darum, die Abwärtsspirale zu stoppen", sagt Bürgermeisterin Christine Holzweber (SPÖ). "Das geht nur mit neuen Arbeitsplätzen. Die Zeit der Großansiedlungen ist für uns vorbei, Firmen mit 20, 30 Mitarbeitern sind die Obergrenze."

Chancen liegen vor allem in der Überwindung der Konkurrenz. Für eine Bündelung regionaler Interessen warb auch Christian Gummerer, Geschäftsführer der Landentwicklung Steiermark: "Man muss das Bewusstsein für die Kulturlandschaft stärken, um eine Wertsetzung zu erreichen." Gelungen sei dies beispielsweise mit der Lokalen Agenda 21 Vulkanland, in der sich 79 Gemeinden zusammengeschlossen haben. Mit Erfolg: Die Abwanderung wurde gebremst. (Maik Novotny, DER STANDARD, 20./21.10.2012)