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Österreichweit fielen im vergangenen Jahr 17,5 Prozent aller Kandidaten bei der Lehrabschlussprüfung durch.

Foto: ap/villagran

Fast jeder fünfte Lehrling in Österreich fällt bei der Abschlussprüfung durch, rund zehn Prozent treten gar nicht an und ein Fünftel macht nach drei Lehrjahren gar keinen Abschluss. Das geht aus einer Statistik der Wirtschaftskammer hervor, die im Juli dieses Jahr für Schlagzeilen sorgte.

Maler, Glaser und Elektrotechniker belegen laut der Statistik die ersten drei Plätze bei den nicht bestandenen Lehrabschlussprüfungen. Die Kfz-Techniker liegen mit einer Durchfallquote von rund 23 Prozent an vierter Stelle, dicht gefolgt von Friseurlehrlingen, bei denen 22,5 Prozent durchfallen. Insgesamt betrug die Durchfallrate im vergangenen Jahr österreichweit 17,5 Prozent.

Wer Schuld an dieser Prüfungsmisere trägt, wird heiß diskutiert. Die Betriebe klagen über schlecht ausgebildete Lehrlinge. Lehrlingsvertreter wiederum kritisieren, dass sich die Unternehmen zu wenig um ihre Auszubildenden kümmern. Das Problem liegt jedoch tiefer und hat viele Gründe.

Desinteresse bei Lehrlingen

Innungsmeisterin Karin Dopplinger, die in der Wiener Friseurinnung auch als Prüfungsvorsitzende fungiert, sieht die mangelnde Prüfungsvorbereitung und das Desinteresse der Lehrlinge als großes Problem: "Wir bieten in der Innung Vorbereitungskurse an, bei denen die Kosten zu 75 Prozent rückerstattet werden. Auch in der Berufsschule halte ich immer wieder kostenlose Kurse dazu ab, aber keiner kommt. Es gibt kein Interesse an der Prüfungsvorbereitung bei den Lehrlingen."

Dabei ist es gerade der praktische Teil der Lehrabschlussprüfung, der Österreichs Lehrlingen Probleme macht. Die Lehrabschlussprüfung besteht aus zwei Prüfungsteilen: der theoretischen Prüfung, bei der berufsspezifisches Fachwissen abgefragt wird, und dem praktischen Teil. Für Lehrlinge, die eine Berufsschule mit einem positiven Jahres- und Abschlusszeugnis abschließen, entfällt der theoretische Teil. Quereinsteiger dagegen, die die Lehre im zweiten Bildungsweg machen, kommen um den theoretischen Teil mit Fachkunde, Fachrechnen und Fachzeichnen nicht herum.

Praktischer Teil wird unterschätzt

Der praktische Teil der Lehrabschlussprüfung dauert in der Regel von der Früh bis zum Nachmittag und besteht bei allen Lehrberufen aus einer Prüfarbeit und einem Fachgespräch. Ausgenommen sind die kaufmännischen Berufe, in denen die Prüflinge Geschäftsfälle bearbeiten müssen.

Für Dopplinger hat die hohe Durchfallquote auch damit zu tun, dass die Lehrlinge den Lern- und Trainingsaufwand für den praktischen Teil unterschätzen: "Es handelt sich nicht nur um eine Bringschuld der Betriebe, sondern auch um eine Holschuld der Lehrlinge. Sie müssen das Praktische und die Fingerfertigkeit auch außerhalb der Lehrzeit trainieren und auch außerhalb der Berufsschule die Fachbücher lesen."

Außerdem vermisst Dopplinger bei vielen Lehrlingen selbstständiges Denken und Handeln: "Die Lehrlinge lassen sich jede Arbeit ansagen und denken nicht mit." Auch in der außerschulischen Erziehung müsse etwas getan werden, also bei den Eltern. Im Jugendalter sei es schon zu spät, um angelernte Verhaltensweisen zu ändern. Viele junge Frauen absolvieren die Friseurlehre laut Dopplinger auch weniger aus Interesse, sondern "weil sie nebenbei etwas machen, um eine Ausbildung zu haben". Die fehlende Begeisterung für den Beruf mache sich dann an den hohen Durchfallquoten bei der Abschlussprüfung bemerkbar.

"Wollen den Beruf nicht machen"

Andreas Denner, Vorstand der Wiener Landesinnung der Maler und Tapezierer, erkennt ähnliche Probleme bei den Malerlehrlingen, die durch Arbeitsmarktmaßnahmen über den zweiten Bildungsweg einsteigen. "Die wollen den Malerberuf gar nicht lernen, werden aber vom AMS dazu gedrängt", sagt Denner. "Aber wenn jemand das nicht gerne macht, ist es kein Wunder, dass er bei der Lehrabschlussprüfung durchfällt."

Auch Georg Ringseis, Bildungsreferent der Wiener Kfz-Technikerinnung, meint, dass viele Lehrlinge die Abschlussprüfung nicht ernst genug nehmen und die hohe Durchfallquote am fehlenden Interesse am Lehrberuf liegt: "Die dreieinhalb Jahre ohne Interesse, die nicht mitgelernt werden, kann man nicht in einem Monat vor der Prüfung aufholen."

Schwächen im Schulsystem

Für Ringseis steht fest, dass es den Lehrlingen nicht nur in der Berufsschule, sondern schon in der Pflichtschule zu einfach gemacht wird. Er bemängelt Schwächen in der Auffassungsgabe und der Arbeitseinstellung bei jungen Lehrlingen: "Auch Sitzenbleiben muss wieder möglich sein. Es fehlt in der Schule der Leistungsdruck, den der junge Mensch in der Wirtschaft braucht. In der Berufsschule ist es dann zu spät, ihnen die Grundrechnungsarten beizubringen."

Als Vorsitzender von Prüfungskommissionen und Ausbildner im eigenen Betrieb habe er oft die Erfahrung gemacht, dass selbst Jugendliche mit deutscher Muttersprache die verschiedenen Arbeitsaufträge sowie einfache Texte und Anweisungen nicht verstehen: "Sie können sich nicht ausdrücken und auch selbst nicht Instruktionen weitergeben. Dabei müssen sie bei der Lehrabschlussprüfung schon das wissen und können, was der fertige Geselle kann." Ringseis fordert daher eine grundlegende Schulreform.

"Nehmen den Beruf nicht ernst"

Zudem wünscht er sich, dass der besondere Kündigungsschutz für Lehrlinge aufgehoben wird. "Wenn die Lehrlinge den Beruf nach einem Jahr nicht mehr ernst nehmen, muss eine Kündigung auch während der Lehrzeit möglich sein", sagt er. Ringseis berichtet von Lehrlingen, die sich nach der Probezeit "um 180 Grad gedreht haben" und als Arbeitskraft "wertlos" geworden seien.

"Die Ausbildungsgarantie ist ja schön und gut, aber die Lehrlinge müssen sich auch ausbilden lassen wollen. Nicht jeder Lehrling ist lehrvertragsfähig, auch wenn es natürlich von Lehrling zu Lehrling unterschiedlich ist und es bemühte Lehrlinge gibt", meint Malerinnungsmeister Denner. Kfz-Techniker Ringseis berichtet von Unternehmern, die trotz hoher Lohnnebenkosten und des erhöhten Zeitaufwands Lehrlinge aufnehmen wollen, "wenn ihnen die Innung gscheite Lehrlinge finden kann".

"Fehlende Ausbildungsverantwortung"

Sind die Lehrlinge also zu faul und zu dumm, um ihre Abschlussprüfung zu schaffen? Christoph Peschek, Lehrlingssprecher der Wiener SPÖ und Jugendvorsitzender der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter, lässt diesen Vorwurf nicht gelten. Ihm sei es wichtiger, eine Qualitätsdiskussion um den Beitrag der Betriebe zu führen, als "mit dem Finger auf die Lehrlinge zu zeigen".

"Da wird Ursache und Wirkung verwechselt, um die fehlende Ausbildungsverantwortung zu kaschieren", kritisiert Peschek. "Ich bekomme oft die Rückmeldung, dass bei der Abschlussprüfung auch Dinge abgefragt werden, die im Betrieb nie gelernt wurden und dass die Lehrlinge in der Praxis kaum bis keinen Kontakt mit den Ausbildnern haben." Die Vorbereitungskurse vor der Prüfung können seiner Ansicht nach keine dreijährige Lehrzeit ersetzen. Auch sei es vielen Lehrlingen aus beruflichen Gründen nicht möglich, an den Vorbereitungskursen teilzunehmen, da sie im Betrieb oft Überstunden machen müssten.

Lehrlinge als billige Arbeitskräfte

Die Arbeitsunwilligkeit bei Lehrlingen hält der Lehrlingssprecher für eine Mär. "Ich kenne Fälle, wo sich Lehrlinge aus Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes jahrelang Dinge gefallen lassen und nur Hilfsarbeiten und berufsfremde Tätigkeiten verrichten. Lehrlinge als billige Arbeitskräfte zu sehen, das ist nicht im Sinne der Lehre", sagt Peschek. Ihm ist es ein Dorn im Auge, wenn wirtschaftliche Interessen der Unternehmen wichtiger eingestuft werden als die Qualität der Ausbildung: "Bei der Lehrausbildung sollte es nicht nur um Profite gehen."

Peschek fordert eine Verkürzung der Probezeit, damit Lehrlinge keine Angst vor vorzeitiger Lehrauflösung haben müssen. Zudem sollte es verpflichtende Ausbildungspläne und pädagogische Unterstützung in den Betrieben geben. Auch eine Ausweitung der Berufsschulzeiten hält Peschek für angebracht: "In Wien sind neun Übungseinheiten auf einen Tag verteilt, das ist pädagogisch nicht sinnvoll. Es sollten zumindest zwei Tage pro Woche in der Berufsschule verbracht werden."

Aufwertung der Lehre

Bei den Betrieben macht sich Peschek mit solchen Forderungen und seiner Kritik an den Ausbildnern naturgemäß keine Freunde. Die Unternehmer klagen, dass der Schwarze Peter allzu schnell an die Betriebe weitergegeben werde. Malermeister Denner hält die negative Berichterstattung für kontraproduktiv: "Es gibt Lehrlinge, die stolz darauf sind, ein Handwerk zu lernen. Die monatelang in der Freizeit für internationale Lehrlingswettbewerbe wie EuroSkills trainieren und dort auch Medaillen einheimsen. Aber darüber wird nicht berichtet."

Über eines sind sich Lehrlingssprecher Peschek und die Innungsmeister aber einig: dass der Lehrberuf aufgewertet werden und die Berufsorientierung in den Pflichtschulen verbessert werden muss. Allzu oft würden Eltern, Lehrer und Schüler den Lehrberuf und die Tätigkeit als Facharbeiter im Vergleich zu berufsbildenden mittleren oder höheren Schulen oder der AHS als letztmögliche und schlechtere Karrierezukunft sehen. (Güler Alkan, derStandard.at, 21.10.2012)