Drei Ausschnitte aus einem meisterlichen Oeuvre: "Fury" (1935/36), ...

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... "Clash by Night" (1952) ...

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... und "Das indische Grabmal" (1959).

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Fritz Lang, 1964 in Cannes.

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 Anlass für eine kleine Sammlung bleibender Lang-Filmerinnerungen von Filmkritikern.

Cristina Nord:

Das indische Grabmal ist eine exotistische Fantasie. Den Film bevölkern verschlagene Inder, deren Gesichter durch Brownfacing den richtigen Farbton bekommen, eine nackte Göttin, deren Brüste ausschauen, als sei das Silikonimplantat 1958 schon gängige Methode, und drei Deutsche, die antreten, den Fortschritt in die Rückständigkeit zu bringen. Dazwischen fauchende Tiger, ein Sandsturm und ein labyrinthisches Kellergewölbe samt Aussätzigen-Verlies. Und mittendrin Debra Paget als Seetha, Objekt der Begierde des Maharadschas.

Ihr gehört der Gipfelpunkt des Films. Eine weltlich-göttliche Gerichtsverhandlung verwandelt sich in einen Schlangentanz, der einem Stripclub zur Ehre gereicht hätte. Seetha, die Angeklagte, beginnt fast nackt zu tanzen, um die Göttin, die Tempelpriester und eine Kobra zu besänftigen. Die Kobra ist unbeholfener, als man es sich von dem Tier erwarten würde, man sieht die Fäden, mit denen die Attrappe in Stellung gebracht wird, und wenn sie ihr Maul aufreißt, sieht man etwas, das eher an Stecknadeln denn an Giftzähne erinnert.

Aber das macht nichts, im Gegenteil, ist die Schlange doch ohnehin vor allem Stellvertreter einer mächtigen Erektion, und um Letzteres zu wissen, hätte es die wiederholten Einstellung auf den geil dreinblickenden Maharadscha vermutlich gar nicht bedurft. Seetha zuckt, windet sich, scheint Schlange und Gesetz zu überwinden, bis sie strauchelt und stürzt. Schon ist die phallische Ordnung wiederhergestellt. Doch in diesem erotischen Exzess, in diesem Überschuss überwindet der Film sein orientalistisches Gesetz, so wie Seetha augenblicksweise die Schlange überwindet.

Sven von Reden:

Keines von Langs Meisterwerken, aber ein gerade durch seine Widersprüchlichkeit faszinierender Film. Clash by Night ist ein Melodram mit einer Femme fatale im Zentrum, die einem Film noir entstiegen sein könnte. Es ist die Verfilmung eines Theaterstücks (von Clifford Odets), die beginnt wie ein Dokumentarfilm. Wellen tosen. Seelöwen und Pelikane dösen im Morgenlicht. Möwen folgen einer Fischflotte, die vom nächtlichen Fangzug in den Hafen von Monterey heimkehrt. Die Kamera folgt dem Weg der Fische, Steinbecks berühmter Straße der Ölsardinen entlang. Sechs Minuten fällt so gut wie kein Wort. Eine atmosphärisch dichte Beobachtung amerikanischer Arbeitswelt mitten in einem Hollywood-Film.

"Das hatte es vorher noch nie gegeben, einen richtigen Dokumentarfilm über die Fischerboote, die Maschinerie der Konservenfabrik und so weiter" , erinnerte sich Lang 1965 in einem Interview mit Peter Bogdanovich. " Ich glaube, es hat dem ganzen Film Atmosphäre verliehen." Der Nachklang dieser ersten Szenen erdet tatsächlich den gesamten Film in der Realität. So sehr alles, was folgt, den Konventionen der Theaterverfilmung folgen mag, als Zuschauer schmeckt man am Ende immer noch das Salz auf der Zunge der heimkehrenden Fischer.

Dominik Kamalzadeh:

Fury (1935/36) war Fritz Langs erster Film in den USA - eine C-Produktion in den Augen von MGM-Boss Louis B. Mayer, mit der sich das für Hochglanz-Arbeiten bekannte Studio einem ungewohnt sozialrealistischen Thema zuwandte: der Lynchjustiz durch einen Mob. Das Gefängnis, in dem sich der angebliche Entführer einer jungen Frau befindet, wird von einer wütenden Dorfmenge in Brand gesteckt.

Der Film wurde eher zufällig zum Erfolg. Es lohnt sich, ihn als erste Einschätzung einer neuen Gesellschaft durch einen emigrierten Filmemacher zu betrachten. Denn Langs Amerika ist eines der irritierenden Widersprüche und Asymmetrien. In den Schaufenstern der Geschäfte wird das Ideal eines glücklichen Ehedaseins beworben, doch diesem american dream stehen Menschen gegenüber, denen noch die Härte und das Rechtsverständnis aus Pionierzeiten zu eigen ist.

Fury ist ein Film der expressiven Indizien und Physiognomien. Spencer Tracys Figur Joe Wilson wandelt sich aufgrund von Fehlschlüssen vom frohmütigen Kerl von nebenan zum fast diabolisch wirkenden Rächer. Aber auch die hassverzerrten Gesichter von Frauen, die brennende Laken schwingen, die geifernden Blicke vermeintlich rechtschaffener Bürgern bleiben in Erinnerung. Und Sylvia Sidneys vor Entsetzen geweitete Augen: Sie kann einfach nicht glauben, was sie sieht.

Isabella Reicher:

Die Figur des unheimlichen Manipulators Dr. Mabuse, erfunden vom Schriftsteller Norbert Jacques, hat auch Fritz Lang über Jahrzehnte umgetrieben. Anhand seiner Leinwandadaptionen - der Stummfilmzweiteiler Dr. Mabuse, der Spieler (1922), Das Testament des Dr. Mabuse (1933) und Langs letzte Regiearbeit, Die 1.000 Augen des Dr. Mabuse (1960) - kann man drei Phasen seines Oeuvres durchmessen.

Immer bleibt dabei sein Vermögen sichtbar, den Kolportage-Stoff durchlässig zu halten für Zeitstimmungen beziehungsweise populäres Kino zu machen, und zugleich die Kunst filmischen Erzählens voranzutreiben. Nicht nur die rasante Autoverfolgungsjagd durch eine nächtlich-düstere Allee im Testament ist immer noch atemberaubend.

Bert Rebhandl:

Selten wurde wohl ein Versuch unternommen, die alles durchdringende Logik der Kompensation so scharf vom täglichen Konsum auf die sozialen Verhältnisse zu übertragen, wie bei Fritz Lang in You and Me (1938). Die Geschichte spielt in dem großen Warenhaus Morris und beginnt mit einer Musiknummer (Komponist: Kurt Weill!), zu der die einschlägige Moral unumwunden vorgetragen wird: "Für nichts bekommt man nichts, man muss für alles bezahlen." Dazu werden die Produkte der US-Warenwelt in Szene gesetzt, immer wieder unterbrochen vom Bild einer Registrierkasse. Bei Morris arbeiten viele ehemalige Delinquenten. Hier bekommen sie eine zweite Chance.

Im geschäftigen Treiben gibt es manchmal fast unbemerkt eine zärtliche Geste: Wenn Helen (die großartige Sylvia Sidney) und Joe (George Raft) auf einer Rolltreppe aneinander vorbeifahren, dann berühren sie einander kurz mit der Hand - es ist ein diskretes Liebeszeichen inmitten der kommerziellen Verbindlichkeiten. Beide waren schon einmal auf der schiefen Bahn, das macht sie übervorsichtig. Der Film ist Schulbeispiel für untergründige Spannung, denn das, was sich zwischen den Liebenden entwickelt, ist eigentlich zu schön, um beständig zu sein. Und Fritz Lang hat ja schon zu Beginn die Logik des "Bezahlens" klargemacht.   (DER STANDARD, 18.10.2012)