Die Gemeinde Traiskirchen erwägt die Sperre des Flüchtlingslagers aus Brandschutzgründen. Hier die Feuerwehr beim Übungseinsatz vor Ort. Und wer löscht die Emotionen?

Foto: Newald

Fünfzehnhundert Asylsuchende in der Erstaufnahmestelle Traiskirchen. Seit Wochen beherrscht diese Zahl, begleitet vom unwidersprochenen Hinweis auf die "Überfüllung", die Diskussion. Übersehen werden dabei mehrere Aspekte.

Zum einen ist der festgelegte Höchststand von 480 Asylsuchenden ein ausschließlich politisches Versprechen der ehemaligen Innenministerin Fekter an den niederösterreichischen Landeshauptmann Pröll, abgegeben zum Zeitpunkt eines historischen Tiefststandes an Asylanträgen. Dies Zahl sagt nichts aus über die Gebäudekapazität. Es ist nicht so lange her, dass in diesen Räumen schon mehr als doppelt so viele Menschen wie derzeit Schutz gefunden haben.

Zum anderen findet das seit 2004 verbindlich festgelegte Bund/Länder-Modell mit geteilter Verantwortung zwischen dem Bund, vertreten durch das Innenministerium, und den Bundesländern kaum Berücksichtigung in der öffentlichen Debatte. Die Erstaufnahmestelle Traiskirchen ist, wie der Name schon sagt, zuständig für die Erstaufnahme. Nach der Zulassung zum Verfahren sollten die Asylwerberinnen und -werber von den Bundesländern im Rahmen einer festgelegten Quote übernommen und weiter versorgt werden.

Wer sich zuerst bewegt, hat verloren

Diese Verpflichtung wird aktuell nur von zwei der neun Bundesländer, Wien und Niederösterreich, erfüllt, in den sieben anderen gilt die Regel: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Damit sind aktuell rund 1000 bereits zum Verfahren zugelassene Asylsuchende in der Erstaufnahme gestrandet. Ihr Verbleib in den eigentlich nicht mehr zuständigen Erstaufnahmestellen verhindert lediglich die Obdachlosigkeit.

Untätigkeit ist das eine, eine weitere Hysterisierung das andere. Die Stadtgemeinde Traiskirchen entdeckt plötzlich ihre feuerpolizeilichen Bedenken und zündet unter Begleitung der Medien, vorgeblich zu brandschutztechnischen Übungszwecken, in den Quartieren traumatisierter Kriegsflüchtlinge Rauchbomben. Ein Schelm, wer darin eine Drohgebärde gegenüber den Betreibern der angeblich "überfüllten" Erstaufnahmestelle vermutet.

Symbolische Politik ...

Ein sogenannter Jugendwohlfahrtsträger im Burgenland meint angesichts des Aufgriffs von fünf (!) unbegleiteten Kinderflüchtlingen, das Burgenland versorge ohnehin schon drei (!) Kinder, und die fünf Neuen möchten doch bitte nach Traiskirchen verschafft werden. Schließlich könne man sich nicht um Alles kümmern. Ein ähnliches Desinteresse der Jugendwohlfahrt am Wohlergehen österreichischer Kinder würde wohl zu Recht den Staatsanwalt auf den Plan rufen. Warum nicht auch dann, wenn es um das Wohlergehen von Kindern ausländischer Eltern geht?

Erstaunlich bleibt in diesen Fällen das Schweigen der üblichen Verdächtigen. Organisationen und politische Parteien, die sich zum Asylthema routinemäßig an der Innenministerin abarbeiten, finden offenbar nichts daran, wenn hier plötzlich andere Akteure symbolische Politik mit Menschenopfern betreiben. Nicht auszudenken, wenn es die Innenministerin gewesen wäre, die Rauchbomben in Flüchtlingsunterkünften zünden oder unbegleitete Kinder wegschicken ließe. Dieselben, die jetzt dazu schweigen, hätten in diesem Fall wohl deren sofortigen Rücktritt gefordert. Aber wenn der Fokus nicht auf dem gewohnten Feind liegt, sondern eine inhaltlich differenzierte Auseinandersetzung mit dem Handeln mehrerer Akteure gefordert ist, wird die Welt schnell zu kompliziert für die Standardargumente.

... mit Menschenopfern

Warum aber nützt die Innenministerin selbst diese fragwürdigen Vorgänge nicht, um ein klares Bekenntnis zur Bedeutung eines menschenwürdigen Umgangs mit Asylsuchenden abzugeben? Sie könnte klar machen, dass es hier nicht nur um eine abstrakte Zahl geht, die in den Amtsstuben zu Schwierigkeiten führt, sondern dass sich hinter dieser Zahl konkrete menschliche Schicksale verbergen.

Die Politik hat das Thema Asyl ausschließlich als Problem der Quantitäten betrachtet. Man denke nur an die unselige Metapher vom Boot, das voll sei - ein Bild, das im Angesicht kenternder Flüchtlingsboote im Mittelmeer mehr als zynisch wirkt. So als ginge es nicht um Menschen, sondern um Buchhaltungszeilen, um abstrakte Bilanzen, die auszugleichen wären. Wer so argumentiert, der legt jeder rechtslastigen Rhetorik den Roten Teppich aus.

Kernaspekt in Hintergrund getreten

Es wäre an der Zeit, in Asylfragen endlich wieder jenen Aspekt in den Vordergrund zu stellen, um den es im Kern geht: Asyl heißt Schutz vor Verfolgung. Allen Verfolgten sollte in einem rechtsstaatlichen Verfahren unter menschenwürdigen Bedingungen die Möglichkeit gegeben werden, ihren Fall vorzubringen.

Denn der Zweck des Asylsystems ist der Schutz von Schutzbedürftigen, ebenso wie der Zweck des Gesundheitssystems die Gesundung von Kranken ist. So wenig dem einzelnen Kranken die Quantitäten und Kosten im Gesundheitssystem anzulasten sind, so wenig darf die Frage der Quantitäten eine Rolle spielen, wenn es um den Umgang mit einem Asylsuchenden geht.

Wenn in der Asylpolitik eine jahrelang betriebene Praxis der Bundespolitik, die symbolische Politik mit Menschenopfern, mittlerweile auch von Länder- und Gemeindevertretern übernommen wird, sollte das für alle ein Alarmzeichen sein.

Und jeder, der hier schweigt, stimmt zu. (Reinhard Kreissl, DER STANDARD, 18.10.2012)