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Tanja Nijmeijer alias Ellen.

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Puebla - Noch vor Beginn der Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla am Mittwoch in Oslo sorgte eine junge, dunkelblonde Frau für erste Verstimmungen: Tanja Nijmeijer alias Ellen alias Alexandra, eine 34-jährige Niederländerin, die seit 2002 in den Reihen der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) kämpft. Sie soll auf Wunsch des Farc-Generalsekretariats mit am Verhandlungstisch sitzen. Die kolumbianische Regierung ist nicht angetan. Nijmeijer sei keine Kolumbianerin. Das sei kein Argument, und im Übrigen sei jede Partei frei, ihre Unterhändler selbst zu bestimmen, sagte Farc-Chef Timoleón Jiménez alias Timochenko am Montag.

Doch wie kommt überhaupt eine junge Studentin aus Europa dazu, im kolumbianischen Dschungel zu den Waffen zu greifen? Tanja, die an der Universität von Groningen Romanistik studierte und in linken Studentengruppen aktiv war, ging erstmals im Jahr 2000 nach Kolumbien, um dort an einer Dorfschule ein Praktikum zu absolvieren.

Die Armut schockierte sie nach eigener Darstellung ebenso wie die Passivität des Staates und die Brutalität der rechten Paramilitärs. Der Dorflehrer in Pereira überzeugte sie vom Kampf der Guerilla. 2001 wieder zurück in den Niederlanden, sei ihr klar geworden, dass die Revolution in Kolumbien stattfinde, nicht in Europa, sagte Nijmeijer zu einem kolumbianischen Journalisten im einzigen Interview, das sie jemals gab. Ein Jahr später siedelte sie nach Kolumbien über. Zunächst arbeitete sie sechs Monate als Milizionärin der Farc in Bogotá. Dann verlor sich ihre Spur im Dschungel.

Zweimal ist sie seither knapp dem Tod entronnen. Dafür klingt ihre Stimme mädchenhaft unschuldig. Sie vermisse den holländischen Käse, und anfangs habe es sie bedrückt, dass sie sich mit niemandem auf Niederländisch unterhalten konnte, erzählte sie im Interview und sang mit sonorer Stimme "Don't cry for me Argentina" - für ihre Eltern zu Hause.

2005 besuchte ihre Mutter Hannie sie im Dschungel und versuchte, sie zur Rückkehr zu bewegen. "Wenn jemand meint, mich hier rausholen zu müssen, wird er mit Gewehrsalven und Minen empfangen", entgegnete die Tochter.

2007 flog "Ellen" auf. Der Armee fiel beim Angriff auf ein Rebellenlager der Farc ihr Tagebuch in die Hände. "Ich habe es satt, habe die Farc satt, die Leute, das Gemeinschaftsleben, den Machismo", stand darin. Sie hatte ihre Brille bei einer Flussdurchquerung verloren, sah kaum noch etwas und litt schwer unter Heimweh.

Kolumbiens Regierung veröffentlichte die Aufzeichnungen, zur Abschreckung. Sie hat der Niederländerin außerdem Straffreiheit versprochen, wenn sie desertiert. Die Veröffentlichungen brachten ihr fast ein Todesurteil der Guerilla ein. Ihre Sprachkenntnisse retteten sie. Die Farc benötigte sie als Propagandistin und Übersetzerin.

Prominente Vorläuferinnen

Nijmeijer hat so prominente Vorläuferinnen wie Tania la Guerillera alias Tamara Bunke, die aus der DDR stammende Gefährtin des argentinisch-kubanischen Revolutionärs Che Guevara, an dessen Seite sie 1967 im bolivianischen Dschungel starb. Oder Lori Berenson, die US-Studentin, die sich der peruanischen Guerilla MRTA anschloss, 1995 festgenommen wurde und bis 2010 wegen Terrorismus in Haft war.

2010 glaubte Kolumbiens Geheimdienst anhand mehrerer Indizien, Tanja sei bei einem Angriff auf ein Rebellenlager gestorben. Doch sie kam knapp davon. "Ich bleibe Rebellin, bis zum Sieg oder bis zum Tod", sagte sie. Nun gibt es vielleicht noch eine andere Alternative für die Guerillera aus Groningen: den Frieden. (wss, DER STANDARD, 17.10.2012)