Michael Stampfer fragt sich, warum der Wiener Wissenschaftsfonds WWTF seit zehn Jahren der einzige Player in der Community ist, der Grundlagenforschung mit privaten Mitteln finanziert.

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Standard: Sie haben in einem Interview mit einem Magazin der Stadt Wien gesagt, Sie würden Geld verschenken. Ist das ein geglücktes Signal eines Forschungsförderers an die Wissenschafter dieser Stadt?

Stampfer: Ich sage schon auch, dass die Anforderungen dafür sehr hoch sind. Wir verlangen viel, ehe wir Wissenschaftern Geld geben. Wir schreiben Calls zu ganz bestimmten Themen aus. Danach gibt es Evaluierungen über die wissenschaftliche Exzellenz der Anträge, und die Entscheidungen werden von internationalen Jurys getroffen. Wir vergeben aber keine Kredite, und wir verlangen auch keine Umsatzbeteiligung für den Fall, dass irgendwann einmal sogar ein Produkt entsteht. Das ist essenziell, um freie Wissenschaft zu ermöglichen.

Standard: Hinter dem Wiener Wissenschaftsfonds steht eine private Bankenstiftung u. a. mit Anteilen der UniCredit. Mischt sich da wirklich niemand in die Finanzierung der freien Wissenschaft ein?

Stampfer: Wir haben natürlich einen Vorstand und ein Kuratorium, in dem 25 Leute sitzen, davon mindestens 15 Wissenschafter. Da werden Inhalte diskutiert. Der Fonds hat keine Rücksichten zu nehmen, wir müssen nur auf die Qualität der eingereichten Projekte achten. Ich frage mich, warum wir seit zehn Jahren der einzige Player in der Community sind, der ein Modell privater Finanzierung von Grundlagenforschung hat. Das ist schade. In den USA oder Deutschland ist es gängige Praxis. Wir haben natürlich keine vergleichbar großen Mittel und fahren daher auch ein überschaubares Nischenprogramm.

Standard: Sie fordern also mehr private Finanzierungsformen für den Bund?

Stampfer: Mir gefiele eine Verbreiterung des Systems. In Schweden zum Beispiel gibt es die technische Universität Chalmers, die als Stiftung betrieben wird, aber die Grundfinanzierung vom Staat erhält. Ich bin schon ein Fan der staatlichen Finanzierung der Universitäten. Man müsste ihnen dabei aber wesentlich mehr Möglichkeiten in der Forschung gewähren als bisher, damit sie sich ausdifferenzieren können. Es gibt eine vom Wissenschaftsministerium beauftragte Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, die zum Schluss kommt, dass die anreizorientierte Förderung zu bevorzugen ist. Sie besagt: Ehe man in den Leistungsvereinbarungen zu viele Vorgaben etwa zur Entwicklung von wissenschaftlichen Schwerpunkten macht, sollten die wirklich guten Leute die Chance bekommen, sich gut zu entwickeln. Das heißt, dass die Drittmittelförderung mehr Geld braucht. Und das sage ich nicht, weil ich in der Drittmittelförderung arbeite. Derzeit spricht man davon, zentral lenken zu wollen, welche Uni welchen Schwerpunkt entwickelt. Das halte ich für falsch.

Standard: Brauchen die Unis Ihrer Meinung nach wirklich mehr Basisförderung, wie die Rektoren oftmals urgieren?

Stampfer: Es stimmt, dass die Produktivitätsreserven deutlich weniger und sogar gefährlich knapp werden. Das hat einen Grund. Die letzten zwanzig Jahre sind von einem stetigen und beachtlichen Wachstum bestimmter Indikatoren geprägt: Output, Zitationsimpact, Rekrutierung von exzellenten Wissenschaftern aus aller Welt. Diese Kurve zeigt nach oben. Bis 2007 bzw. 2008 zeigte auch die Finanzierungskurve nach oben. Seit fünf Jahren ist sie aber verflacht. Wenn einerseits der Anteil der Top-Forscher steigt, die natürlich finanzielle Bedürfnisse haben, Ausstattung und Drittmittel brauchen, andererseits die Gelder im Verhältnis dazu stagnieren oder nur unwesentlich wachsen, dann ist klar, dass zu wenig da ist. Wir fahren in ein immer enger werdendes Tal hinein.

Standard: Ist mehr Geld der Weisheit letzter Schluss? Muss nicht auch vorhandenes Geld besser verteilt werden?

Stampfer: Natürlich muss man sich anschauen, ob es abnehmende Grenzerträge gibt, und sich fragen: Was bringt ein bestimmtes Instrument der Forschungsförderung, wenn man noch einmal ein paar Millionen drauflegt - wird der Output besser oder wird die Kurve flacher? Man muss sich insgesamt fragen: Wo setzt der Staat sein Geld optimal ein? Es gibt ja eine sehr ambitionierte Strategie, mit der man bis 2020 Innovation-Leader werden will, und es gibt ein paar Lästige, die sagen, dass wir mit dem einen oder anderen Instrument möglicherweise schon in einen flachen Bereich kommen.

Standard: Die Lästigen sagen auch, dass die Wissenschaft im Verhältnis zur direkten Förderung der Industrie und ihrer Forschung zu wenig bekommt. So würde man nie Innovation-Leader werden. Glauben Sie das auch?

Stampfer: Die direkte Unterstützung der Industrie hat auch historisch gute Gründe. Die heimischen Unternehmen waren einmal innovationsarm und kapitalschwach. Gegen die Förderung ist auch heute nichts zu sagen, auch gegen die steuerliche Förderung für forschende Unternehmen nicht. Wenn aber gleichzeitig die Förderung der Wissenschaft stagniert, habe ich schon Zweifel.

Standard: Hat Grundlagenforschung also zu wenig Lobbying in Österreich?

Stampfer: Ich wundere mich schon, dass die Wissenschaft viel weniger Freunde hat, als sie eigentlich haben sollte. Andere Anliegen, sowohl innerhalb der Forschungswelt als auch außerhalb, haben deutlich mehr Freunde. Möglicherweise sagt die Art und Höhe der staatlichen Dotierung für Wissenschaft etwas aus, wie wir in Österreich über Wissenschaft denken und damit umgehen. Das verändert sich langsam und ist also nicht mehr im grimmigen Bereich.

Standard: Was meinen Sie mit "im grimmigen Bereich"?

Stampfer: Ich hatte ein großes Aha-Erlebnis, als ich mit Rupert Pichler und Reinhold Hofer das Buch Forschung, Geld und Politik über die Geschichte der Forschungspolitik und -förderung in der österreichischen Nachkriegszeit schrieb. Ich war schockiert darüber, mit welcher Borniertheit und Fantasielosigkeit die allermeisten Repräsentanten innerhalb und außerhalb des Systems in den 1950er-, 1960er- und teils 1970er-Jahren gesprochen und gehandelt haben. Da glaubt man, in einem voraufklärerischen Jahrhundert gelandet zu sein. Nun denke ich, dass gesellschaftliche Veränderungsprozesse sehr lange dauern. Damals war man deutlich unterhalb der Nulllinie, und es war grenzenlos entsetzlich. Heute ist man immerhin schon darüber, wir kommen in einen wissenschafts- und technologiefreundlicheren Bereich. Immerhin ein Fortschritt, oder? Man muss Geduld haben. Das Eichhörnchen ernährt sich in diesen Dinge eben ganz besonders mühsam. (Peter Illetschko/DER STANDARD, 17. 10. 2012)