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Griechische Linke gegen deutsche Nazis - mit denen diesfalls die zu Besuch weilende Kanzlerin Angela Merkel gemeint ist.

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Französische Kommunisten marschieren gegen das Sparpaket der Linksregierung, das auch vom EU-Fiskalpakt diktiert ist.

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Anton Pelinka: Krise als Chance für Europa.

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STANDARD: Man braucht nur lange genug nach rechts zu gehen, um links wieder herauszukommen: eine hinreichende Erklärung für die Parallelitäten zwischen Rechts- und Linksextremismus?

Pelinka: Sicher nicht. Es gibt tiefere Gründe. Einer davon ist die Oppositionsneigung. Ein Beispiel dafür ist das EU-Verfassungsreferendum in Frankreich 2005. Das wurde so mit Präsident Chirac iden tifiziert, dass ein Teil der Sozia listischen Partei, darunter der Spitzenpolitiker Laurent Fabius, entgegen der eigenen Parteilinie gegen die Ratifizierung des Verfassungsvertrags gestimmt hat. Die Oppositionsmotivation spielt hinein, erklärt die Parallelitäten aber nicht hinlänglich.

STANDARD: Was sind die Hauptpunkte?

Pelinka: Ich werde versuchen zu belegen, dass sowohl subjektiv als auch objektiv die klassische Linke - klassisch im Sinn von Proletariat - nie wirklich internationalistisch war. Seit der Wohlstandsexplosion in Westeuropa hatte das Proletariat mehr zu verlieren als seine Ketten. Das westeuropäische Proletariat ist also das Kleinbürgertum von gestern und von ähnlichen Affekten getragen wie dieses Kleinbürgertum, das dem Faschismus mehr oder weniger Tür und Tor geöffnet hat.

STANDARD: Ein heutiges Beispiel?

Pelinka: Es ist nachvollziehbar, wenn deutsche Arbeiter und Angestellte, die bei Nokia in Nordrhein-Westfalen beschäftigt waren, die Auslagerung des Werks nach Rumänien als Bedrohung empfinden und fragen, warum die Bundesregierung nichts dagegen tun kann. Nur führt es dann im nächsten Schritt zu einer Gegnerschaft zum Binnenmarkt, zur europäischen Integration. Und dann trifft man sich mit den von einer anderen historischen Mo tivationsgeschichte herkommenden Rechtsextremen.

STANDARD: Kann man die heutigen Gemeinsamkeiten von Rechts- und Linksextremismus reduzieren auf Antisemitismus oder Antizionismus, Antiamerikanismus und, neu, Antiglobalismus?

Pelinka: Es sind Gemeinsamkeiten, aber dahinter steckt mehr. Bei Antiglobalisierungsdemonstrationen wird etwa ein goldenes Kalb mit einem Davidstern drauf gezeigt. Da wird der Kapitalismus mit den Juden identifiziert. Da gibt es Berührungspunkte, die im Übrigen nicht neu sind. Die Linke, sowohl die sozialdemokratische als auch die kommunistische, in Österreich vor allem Erstere, hatte große Probleme, den Antisemitismus überhaupt wahrzunehmen. Dessen unglaubliche Zerstörungsgewalt wurde - nicht nur, aber auch - von der Linken massiv übersehen. Das war ein Einfallstor, wo sich dann antikapitalistische linke und extrem exklusiv rechte Motive begegnet sind.

STANDARD: Wie kam und kommt die österreichische Sozialdemokratie mit diesem Faktum zurande?

Pelinka: Eines der großen Tabus der sozialdemokratischen Geschichte in Österreich war und ist vielleicht bis heute noch, wie viele direkte Übergänge es an der Basis von der Sozialdemokratie zu den Nationalsozialisten gab. Das war nicht nur das Kleinbürgertum, das waren auch die Wiener Arbeiter, zu einem Gutteil.

STANDARD: Bruno Kreisky hat ja erzählt, wie er gemeinsam mit Nationalsozialisten in Haft saß, beide Seiten quasi vereint in ihrem Widerstand gegen den Austrofaschismus.

Pelinka: Das war dann für Kreisky der Überbau für seine Strategie, gemeinsam mit den Freiheitlichen die ÖVP von der Macht fernzuhalten. Das war seine Rechtfertigung - aber schon auch das Erlebnis. Und dann die Tendenz, unter einem undifferenzierten Faschismusbegriff Dollfuß mit Hitler gleichzusetzen. Heute würden differenziert argumentierende Sozialdemokraten diese Gleichsetzung nicht mehr machen, aber es ist tendenziell da, und bei Kreisky war es sehr ausgeprägt.

STANDARD: Bis hin zur Begründung seines Exils ...

Pelinka: Er hat immer gesagt: Ich bin als Sozialdemokrat ins Exil gegangen. Aber er ist als Jude vor dem sicheren Tod geflüchtet. Als Sozialdemokrat hätte er ganz gute Überlebenschancen gehabt, als Jude keine.

STANDARD: Die Rechtsextremen sind auf die Rasse fixiert, die Linksextremen auf die Klasse - gilt das auch heute noch?

Pelinka: Im Prinzip ja, denn dort, wo es noch unreformierte kommunistische Parteien gibt, wird noch immer eine marxistische Klassentheorie vertreten. Den Rechts extremen ist der Begriff Rasse ein wenig abhandengekommen, durch die "Nation" und die "Kultur". Im französischen Front National etwa ist Kultur das Codewort für Rasse. Rasse sagt man nicht mehr, das ist irgendwie out.

STANDARD: Gibt es in der Gewalt bereitschaft gravierende Unterschiede?

Pelinka: Ich sehe sie aufs Erste nicht. Wir haben jedenfalls auf beiden Seiten zwei Formen von Gewaltbereitschaft: zum einen die kaderorganisierte Gewaltbereitschaft, Beispiel Rote Armee Fraktion oder jetzt in Deutschland diese nationalsozialistische Mordgruppe. Da gibt es durchaus Analogien: Sie glauben, sie können die Gesellschaft verändern, indem sie bestimmte Menschen umbringen. Das Zweite ist die halbspontane, aus einer Erregung unter Berücksichtigung von Massenpsychologie entstehende Gewaltbereitschaft wie derzeit in Griechenland. Da werden Scheiben eingeschlagen, Geschäfte geplündert, Autos abgefackelt etc.

STANDARD: Das gilt ebenfalls für beide Seiten?

Pelinka: Ja, wobei es in Griechenland derzeit bei der Linken nachvollziehbar stärker auftritt.

STANDARD: Spielen Intellektuelle als sogenannte Schreibtischtäter und geistige Avantgarde linksaußen eine größere Rolle als rechts?

Pelinka: Traditionell gibt es eher den linksextremen Intellektuellen als Typus, weil der Linksextremismus ja doch, im Gegensatz zum Rechtsextremismus, eine Weltanschauung hat, ein Bild von der Welt als Gesamtes, auch wenn das durch Wunschdenken und Naivität oft weit von der Wirklichkeit entfernt ist. Der Rechtsextremismus ist zunächst einmal eher eine Bauchbewegung, eine Affektbewegung. Nicht dass die Linksextremisten frei von Affekten wären. Aber in ihrer Tradition versuchen sie immer, sich einen Überbau, eine Welterklärung zusammenzustellen. Und das fehlt bei den Rechtsextremisten traditionell. Bei den Nationalsozialisten etwa gibt es, mit wenigen Ausnahmen, erstaunliche Dummheit. Der Linksextremismus war immer intellektuell spannender. Ob das heute noch so ist, trau ich mich nicht zu sagen.

STANDARD: Krisen geben Extremisten Auftrieb, heißt es. Aber zeigen nicht die jüngsten Wahlen in den Niederlanden mit den Verlusten des Rechtspopulisten Geert Wilders, dass die meisten Bürger im Ernstfall doch zu den etablierten Parteien zurückkehren?

Pelinka: Ich würde das nicht verallgemeinern, aber das niederländische Beispiel als Gegenargument gegen die andere Verallgemeinerung verwenden. In Griechenland war's halt nicht so. Da war die Syriza, eine Mischung aus anarchistisch, altkommunistisch, etc., der eigentliche Wahlsieger, der durch eine Allianz der gemäßigten Parteien gerade noch von der Regierung ferngehalten werden konnte. Ich wäre also vorsichtig mit generellen Folgerungen.

STANDARD: Es hängt offensichtlich von der politischen Kultur und Geschichte des Landes ab.

Pelinka: Da sehe ich die Krise ja als große Chance für die europäische Integration - wenn sie nur endlich aus diesem Teufelskreis herauskommen könnte: Alle sagen, man muss vertiefen - aber dann braucht man 27, demnächst 28 Ratifizierungsvorgänge, und dann kommt ein irisches Referendum oder so was. Das Rezept ist also durch die verbleibende nationalstaatliche Teilsouveränität momentan offenbar nicht umsetzbar. Aber die Krise ist die Chance, Europa voranzutreiben. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 17.10.2012)