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Ungetauft sterbende Kinder kommen in die Hölle. Auf Grund des Wirkens von Benedikt XVI. wird diese antiquierte Formel aufgebrochen.

Foto: dapd,AP, Montage DER STANDARD

Neben der etwas plumpen Höllen-Drohung des Papstes, die der letzte Blog behandelte, findet sich im Wirken Benedikts XVI. erfreulicherweise auch ganz anderes. Spannend ist, dass gerade in der Ära eines Dogmatik-Professors auf dem Papstthron Positionen auftauchen, die sogar das Potenzial haben, das Ende der Dogmatik bisherigen Schnittmusters einzuläuten.

Das wichtigste Dokument dafür ist die unscheinbare Erklärung der Internationalen Theologenkommission "Die Hoffnung auf Rettung für ungetauft gestorbene Kinder", die am 19. Jänner 2007 "die Zustimmung des Heiligen Vaters" erhalten hat. Dieses Dokument verdient, wieder vor den Vorhang geholt zu werden, weil es möglicherweise einen Wendepunkt in der Lehre der Kirche markiert.

Hintergrund des Papiers: Da die Kirche lehrte, dass nur Getaufte das ewige Heil erhalten könnten, spekulierten die Theologen über das Schicksal der ohne Taufe verstorbenen Kinder. Diese haben ja die Taufe nicht bewusst abgelehnt, und insbesondere Babys können selbst noch keine Sünden begangen haben. Augustinus war der festen Überzeugung, dass ohne Taufe verstorbene Kinder für die Hölle bestimmt seien. Das war eben die folgerichtige Kehrseite der von ihm erfundenen Erbsünden-Theologie, die in dieser Form aber keine biblische Grundlage hat.

In der Folge waren Kirchenväter, führende Theologen und Päpste der eindeutigen Meinung, dass diese Kinder "der beseligenden Gottesschau beraubt sind". Der dafür geprägte Begriff Limbus puerorum (von Limbus = Streifen, Saum) beschreibt nach antikem Weltbild eine Rand-Zone im Jenseits als Ruheplatz ohne körperliche Qualen für ungetaufte Kinder. Je nach Ansicht wurde daraus mehr eine Art "Vor-Himmel" oder aber eher eine "Vor-Hölle".

Die Theologenkommission stand nun vor dem Dilemma, dass hier eine durchgängige Lehre der Kirche vorlag. Nach der eingefahrenen römischen Doktrin wird so automatisch ein Dogma produziert, das dann nicht mehr veränderlich ist (siehe Ablehnung der Weihe der Frau).

Doch die findigen Theologen wussten sich zu helfen. Sie schreiben:

"Die Aussage, dass ohne Taufe verstorbene Kinder den Verlust der glückseligen Schau erleiden, war lange die allgemeine Lehre der Kirche, die vom Glauben der Kirche unterschieden werden muss."

Erstmals dokumentieren die Römer damit das mögliche und vor allem das tatsächliche Auseinanderklaffen der Lehre der Hierarchie einerseits und des Glaubens des Volkes andererseits.

Auf der Suche nach dem Kern des Katholischen - das ist nach der berühmten Definition eines Kirchenvaters das, "was überall, immer, von allen geglaubt worden ist" - wäre daher weniger das Studium der Kirchenväter und der römischen Bibliotheken gefragt als ein gutes Stück Demoskopie. Leider liegt das für die Vergangenheit nicht vor.

Für das Schicksal der getauften Kinder formulierte die Theologen-Kommission mit dem Segen des Papstes:
"Die vielen Faktoren, die wir im Vorausgehenden erwogen haben, geben schwerwiegende theologische und liturgische Gründe zur Hoffnung, dass ungetauft sterbende Kinder Rettung finden und sich der glückseligen Schau erfreuen werden."

Das ist eine Hoffnung gegen die bisherige Lehre der Kirche. Damit lässt sich die Hoffnung verbinden, dass der Glaubenssinn der Gemeinschaft künftig die Kirche stärker prägen wird als theologische Konstrukte.

Diese Entscheidung Benedikts ist bahnbrechend, weil sie als Präzedenzfall so ziemlich alles aushebeln kann, was bisher in katholischer Dogmatik einzementiert worden ist. Umsetzen werden das freilich erst andere.

PS: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Verantwortung der Päpste und des Vatikans am internationalen Missbrauchsskandal geklärt werden muss. Der derzeitige Papst hat bisher lediglich zur Schuld einzelner Priester und Bischöfe Stellung genommen. Zu den Vorgängen innerhalb der vatikanischen Mauern fand er kein Wort. Benedikts beharrliches Schweigen dazu macht ihn als Papst unglaubwürdig.

PPS: Den nächsten Blog gibt es am 29.Oktober (Wolfgang Bergmann, derStandard.at, 15.10.2012)

Wolfgang Bergmann, Magister der Theologie (kath.), 1988-1996 Pressesprecher der Caritas, 1996-1999 Kommunikationsdirektor der Erzdiözese Wien und Gründungsgeschäftsführer von Radio Stephansdom. Seit 2000 Geschäftsführer DER STANDARD. 2010 erschien sein Romanerstling "Die kleinere Sünde" (Czernin Verlag) zum Thema Missbrauch in der Kirche.