Graz - Ein Sportkommentator stellt die Schau-Spieler vor, die in schwarzen Dressen einlaufen. Sie werden mit ihren echten Namen und Karrieren vorgestellt. Julius Feldmeier und Sebastian Klein, zwei junge Neuzugänge in Graz aus der "Hamburger Schule", Knut Berger, ein erfahrener Berliner, "Hamma net genügend österreichische Spieler?", motzt der Kommentator. Da erscheint die "Ikone des Schauspielhauses", die Grazerin Birgit Stöger, die nach Erfolgen in Deutschland und der Schweiz zurückgekehrt ist.
Plötzlich stürmt ein Lockenkopf in Unterhose die Szene. Ein Flitzer! Man versucht ihn zu überwältigen, doch er wehrt sich. Er sei Israeli, sein Großvater war Österreicher. Warum er nichts anhabe? Der Mann hält ein gestreiftes KZ-Gewand und eine Uniform der israelischen Armee ins Publikum und sagt, man habe ihm nur diese beiden "Kostume" gegeben. Beide wolle er nicht tragen. "Kostüme!", verbessern ihn die Deutschen und die Österreicherin.
Verzweifelt versucht der Mann, es ist Michael Ronen, Bruder von Regisseurin Yael Ronen, sich zu erklären, wird aber nur schulmeisternd ausgebessert. Auch wie man Auschwitz auf Bühnendeutsch ausspricht, zeigen ihm die Kollegen. Mit diesem unglaublich komisch gespielten, vielsagenden Bild startete das Stück Hakoah Wien von Yael Ronen am Samstag in seine Uraufführung. Es erzählt mehrere Geschichten, virtuos miteinander verwoben:
Die von Michael Fröhlich, der aus der israelischen Armee desertiert und bei einem Fußball-Hooligan in Wien untertaucht. Die seines verstorbenen Großvaters Wolf Fröhlich, der Kicker beim jüdischen Verein Hakoah in Wien war und 1936 wegging, um die Heimat des Enkels aufzubauen. Der Enkel spricht mit dem toten Großvater und nicht nur, weil die Geschichte tatsächlich die der Ronens ist, sind das tief berührende Szenen. Michael entschuldigt sich beim Opa, dass er sich in Israel nicht mehr daheim fühle, sich fremd fühle in seiner Haut als Soldat.
Und es gibt Liebesgeschichten. Wolf Fröhlich liebte eine Wiener Hakoah-Schwimmerin und verließ sie für die neue Heimat. Sie heiratet, nimmt eine neue Identität an und überlebt so die NS-Zeit. Ihre Enkelin findet später Liebesbriefe aus Israel an die Oma, fühlt sich plötzlich als Jüdin und verliebt sich in Michael.
Yael Ronen entlarvt in all diesen Erzählsträngen Klischees und Tabus, die ihrer Generation bei der Identitätssuche im Weg stehen. Sie zeigt Figuren, die alle Heimat suchen: In einem Staat, einer Religion oder einem Fußballverein. Die Schauspieler, die zu fünft alle Rollen spielen und teils Monologe selbst schrieben, sind ihr dabei ein großartiges Team.
Michael Ronen lebt nicht wie Yael Ronen in Tel Aviv, sondern in Berlin. Er ist Regisseur. Dass er auf der Bühne steht, ist die große Ausnahme. Das Publikum war sich einig: Stehende, lange Ovationen. (Colette M. Schmidt/DER STANDARD, 15. 10. 2012)