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Wien, 3. Juni 1961: Nikita Chruschtschow (li.) und John F. Kennedy in Lauerstellung. Eineinhalb Jahre später droht ein Atomkrieg.

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Ab dem 16. Oktober 1962 wussten die USA mit Gewissheit, dass auf Kuba Atomraketen stationiert wurden. Die Kubakrise wurde schließlich mit einer diplomatischen Meisterleistung gelöst.

 

Nervöses Lachen ist zu hören: "Da sind Sie aber zusammen mit mir drin. Sie persönlich!", entgegnet John F. Kennedy seinem Luftwaffenchef, der soeben seine Analyse mit dem Satz beendet hat, dass der Präsident ganz schön in der Klemme sitze. "Diese Blockade und die politischen Handlungen: Ich sehe das geradewegs im Krieg enden", hatte Curtis Lemay orakelt.

Kennedy ließ sie Wort für Wort aufzeichnen, die Diskussionen, die er mit seinen wichtigsten Beratern und den höchsten Militärs führte, als die Kubakrise beide Supermächte an den Rand eines atomaren Konflikts geraten ließ.

50 Jahre später hat das US-Nationalarchiv eine Ausstellung organisiert, deren Titel die Dramatik des Krisenherbstes 1962 bündelt: To the Brink (Zum Abgrund hin). "Heute früh habe ich die Streitkräfte widerstrebend angewiesen, die nuklearen Stellungen in Kuba anzugreifen", steht im Entwurf einer Rede, die JFK Gott sei Dank nie zu halten brauchte.

Seit August 1962 hatte man über sowjetische Raketen auf der Karibikinsel gemunkelt, doch erst am 16. Oktober herrscht Gewissheit in Form von Luftbildern des Spionageflugzeugs U-2. Die Gerüchte stimmen also.

Noch bezweifelt Kennedy, dass sie eine akute Bedrohung darstellen. Die Generäle dagegen, noch geprägt vom Zweiten Weltkrieg, vergleichen die Lage mit dem Münchner Abkommen 1938, als man Adolf Hitler mit Zugeständnissen beschwichtigen wollte.

Männer wie Lemay drängen auf einen Militärschlag, während JFK um diplomatischen Spielraum ringt. Eine Attacke, fürchtet er, würde automatisch zu einer Invasion führen - und jene gescheiterte von 1961 in der Schweinebucht sitzt ihm noch in den Knochen. Außerdem hatte ihm der russische Premier Nikita Chruschtschow gut ein Jahr zuvor bei einem Gipfel in Wien die Schneid abgekauft.

Johns Bruder Robert, der Justizminister, warnt indes vor dem Kongress: Würde man Fidel Castro erlauben, Nuklearraketen zu besitzen, würden die Abgeordneten nicht zögern und den Präsidenten seines Amtes entheben. Schließlich behalten die "Tauben", wie Robert sie nennt, die Oberhand über die "Falken". Beschlossen wird eine Seeblockade.

"Die Dreißigerjahre haben uns eine klare Lektion gelehrt", sagt JFK, als er sich am 22. Oktober an seine Landsleute wendet: "Aggressives Auftreten führt zum Krieg, wenn es nicht behindert und herausgefordert wird." Nach außen hin bedient Kennedy sich der harten Sprache seiner Militärs, während hinter den Kulissen an einer Lösung gebastelt wird. So trifft am 27. Oktober Robert Kennedy den sowjetischen Botschafter Anatoli Dobrynin, um einen Deal zu besprechen: Moskau soll seine Raketen abziehen, dafür garantiert Washington, Kuba nicht anzugreifen und Jupiter-Raketen in der Türkei zu demontieren. Letzteres müsse geheim bleiben, damit es nicht so aussehe, als wäre es Teil eines Tauschgeschäfts.

Mythos Kennedy

Weil sich beide Seiten jahrelang über den Jupiter-Deal ausschweigen, sieht es so aus, als habe das Weiße Haus auf ganzer Linie gewonnen. Leslie Gelb, Ehrenvorsitzender des renommierten Council on Foreign Relations, spricht von der Geburt eines folgenreichen Mythos: Jeder US-Präsident müsse sich seitdem an JFK messen lassen. "Amerikanische Politiker mögen keine Kompromisse - und ein falsches Verständnis jener 13 Tage im Oktober 1962 hat eine Menge damit zu tun." (Frank Herrmann aus Washington /DER STANDARD, 13.10.2012)