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Neuköllns SPD-Bürgermeister Heinz Buschkowsky.

Foto: Reuters/Peter

Integration und Multikulti seien in Deutschland meist gescheitert, schreibt der SPD-Bürgermeister von Berlin-Neukölln, Heinz Buschkowsky, in einem Buch und warnt vor Imamehen, Zweitfrauen und Scharia. Tobias Müller erklärte er, warum er sicher kein Rassist sei.

STANDARD: In den vergangenen Wochen haben Ihnen mehrere Leute vorgeworfen, ein rassistisches Buch geschrieben zu haben. Was sagen Sie dazu?

Buschkowsky: Das Buch beschreibt das reale Leben, wie es jeder sehen und erleben kann. Die Wirklichkeit ist nicht rassistisch, und man kann sie auch nicht ignorieren.

STANDARD: Was Ihnen die Soziologin Naika Foroutan im "Spiegel" vorwirft, ist, dass Sie die Biologie durch die Kultur ersetzen und deshalb rassistisch sind. Und sie zitiert eine Passage, in der Sie schreiben: "Mit den Afrikanern ist noch mehr Brutalität, Drogen- und Alkoholmissbrauch eingezogen."

Buschkowsky: Die Passage mit den Schwarzafrikanern gibt den Bericht einer Kindergartenleiterin darüber wieder, welche Auswirkungen die Bevölkerungsveränderungen in ihrem Wohngebiet hatten. Was ist daran rassistisch? Wie ist das mit den tradierten Rollenbildern, dass Mädchen rein, keusch und gehorsam zu sein haben und Jungen stark, tapfer und kampfesmutig?

Die Einschätzung, dass diese Erziehungsziele nicht in unsere aufgeklärte, demokratische Gesellschaft passen und für die Integration schädlich sind, ist kein Rassismus. Genauso wenig wie die Kritik an der Machosubkultur und der Gewaltakzeptanz in und außerhalb der Familie. Fünf Prozent der jungen, deutschen Männer finden es okay, ihre Frau zu schlagen, wenn sie sie betrogen hat. Bei türkischstämmigen Männern ist der Wert fünfmal so hoch.

STANDARD: Ich war nie in Neukölln. Wie würden Sie mir Ihren Bezirk beschreiben?

Buschkowsky: Wir haben einen Aufwuchs bildungsferner Einwanderermilieus. Der Sprachstand in der dritten und vierten Generation der Einwanderer wird nicht besser, sondern schlechter. Bei den letzten Einschülern sprachen 40 Prozent der Einwandererkinder gar kein oder nur ein rudimentäres Deutsch. Das sind Kinder von Eltern, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind.

Drei von vier Kindern unter 14 Jahren befinden sich in Nordneukölln im Hartz-IV-Bezug. Jeder zweite Jugendliche verlässt die Schule ohne Abschluss oder mit dem Hauptschulabschluss, der für eine qualifizierte Berufsausbildung kaum ausreicht. Die jungen Leute stehen nicht vor einem selbstbestimmten Leben, sondern vor einem nahtlosen Wechsel von der Schule ins Jobcenter. Einwanderung soll die Gesellschaft stärken, ihr neue Impulse geben, aber kein Testbetrieb für das Sozialsystem sein.

STANDARD: Sie haben nun viele Probleme mit der Bildung aufgezählt ...

Buschkowsky: Das ist der Grundpfeiler. Integration ist ohne Bildung nicht möglich.

STANDARD: ... dazu machen Sie auch Lösungsvorschläge in Ihrem Buch. Etwa Wächter an Schulen, die aufpassen, dass die Kinder auch lernen. Wie weit kann man Menschen zu Bildung zwingen?

Buschkowsky: Da haben Sie etwas missverstanden. Lernwächter gibt es bei uns nicht. Was wir haben, ist Wachschutz vor verschiedenen Schulen, damit keine ungebetenen Gäste auf das Gelände kommen und Unsinn anrichten. Woran es teilweise mangelt, ist die Akzeptanz der Schulpflicht bei den Eltern. Mein Lösungsansatz: Kommt das Kind nicht in die Schule, kommt das Kindergeld nicht auf das Konto. Und ich kämpfe gegen Kulturrelativismus. Zum Beispiel, dass Zweit-, Dritt- und Viertfrauen plötzlich als kulturelle Identität hinnehmbar sind.

STANDARD: Ist das wirklich ein Pro blem bei Ihnen?

Buschkowsky: Seitdem die Pflicht der standesamtlichen Trauung vor einer religiösen 2009 abgeschafft wurde, nehmen die Imam ehen zu. Das ist selbst in der Türkei verboten. Die Tätigkeit von Friedensrichtern bei privaten Streitigkeiten oder nach Straftaten hat plötzlich den Status einer kulturellen Übung. Nein, ich will nicht zurück zu Fred Feuerstein. Ich will, dass Männer und Frauen gleichwertige Lebewesen sind, Jungen und Mädchen gemeinsam zur Schule gehen und Schwimmen lernen. Eigentlich ist das alles selbstverständlich. Dass man darüber diskutieren muss, ist schlimm genug. Einwanderer kommen zu uns, nicht weil es ihnen zu Hause so gut geht, sondern weil sie sich bei uns ein besseres Leben versprechen, als es ihnen ihre Heimat bietet. Das geht aber nicht mit der Bewahrung der archaischen Lebenswelt von Opa.

STANDARD: Was unterscheidet Sie von Thilo Sarrazin?

Buschkowsky: Herr Sarrazin beschäftigt sich mit der Frage, ob Einwanderung unsere Gesellschaft vernichtet. Der Fokus meines Buches liegt darauf, wie wir Bildungsferne bei den Einwanderern beseitigen und sie damit zu einem Gewinn für die Gesellschaft werden. Das ist ein völlig anderer Ansatz. Integration ist harte Arbeit, für die Gesellschaft und für den Einzelnen, der hinzukommt. Deshalb haben die Lügen "Die gehen alle eh wieder nach Hause" oder "Multikulti regelt alles von allein" auch nicht funktioniert. Wenn die Gesellschaft die Forderung nach Integration an die Einwanderer nicht erhebt, dann darf sie sich auch nicht wundern, dass ihr keiner nachkommt. Die Ansage muss klar sein: Herzlich willkommen, schön, dass du einer von uns werden und mit uns leben willst, wir bitten dich aber herzlich, deine Kompetenzen einzubringen und dich bei uns zu integrieren.

STANDARD: Und wie sieht das idealerweise aus?

Buschkowsky: Unsere Werte von heute sind über Jahrhunderte entstanden und hart erkämpft worden. Reformation, Aufklärung, Menschenrechte, die Unverletzlichkeit der Würde des Einzelnen, die Ächtung von Gewalt, das alles dürfen wir nicht auf dem Altar der Beliebigkeit opfern. Ob jemand Lederhosen anzieht, Weißwurst zum Frühstück isst oder Bier literweise trinkt, das hat damit gar nichts zu tun. Genauso wenig, in welchem Gott jemand seinen Frieden findet. (Tobias Müller, DER STANDARD, 13.10.2012)