Janine Wulz und Christoph Badelt im Gespräch: "Es ist ja fürchterlich, dass wir uns heute dauernd einig sind." - "Ich bin verwundert."

Foto: derStandard.at/Pumberger

Christoph Badelt: "Von Ihnen höre ich immer nur, der Zugang muss frei sein. Sie machen sich damit mitschuldig an dem Zynismus an den jungen Menschen! Ich kämpfe mit Ihnen jederzeit für mehr Kapazitäten!"

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Janine Wulz: "Wir haben jetzt schon Zugangsbeschränkungen. Die Frage ist: ersetze ich ein System, das Pest ist, durch ein System, das Cholera ist? Schaffe ich die eine Hürde für Studierende ab, indem ich eine andere aufbaue?"

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In wenigen Tagen sollen Zugangsbeschränkungen und Studienplatzfinanzierung präsentiert werden. Janine Wulz vom Vorsitzteam der ÖH und Christoph Badelt, Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien, streiten über die Notwendigkeit von Zugangsbeschränkungen und das Abwälzen von politischen Entscheidungen auf die Universitäten. Die derzeitige Hochschulpolitik sei ein "Teufelskreis des Zynismus", so Badelt. Wulz sieht darin ein "Armutszeugnis".  Badelt kristisiert, dass wenn man Zugangsregeln an den bisherigen Inskriptionszahlen orientiere, man wieder die Entscheidung in der Studieneingangs- und Orientiertungsphase (STEOP) treffen muss. Badelt: "Das ist die Perpetuierung dieses Zynismus".

derStandard.at: Herr Rektor, wenn Sie den Zustand der Universitäten in wenigen Worten beschreiben müssten, was würden Sie sagen?

Badelt: Besser als manchmal dargestellt.

derStandard.at: Frau Wulz, welche drei Wörter fallen Ihnen dazu ein?

Wulz: Sehr stiefmütterlich behandelt.

derStandard.at: Herr Badelt, Sie haben einen Eintrag auf dem WU-Blog verfasst, einen Brief an alle Studierenden. Sie schreiben über die überlaufenen Studien und warnen die Erstsemestrigen vor Engpässen. Irgendwie vergeht einem da das Studieren an der Wirtschaftsuni.

Badelt: Ich glaube, dass es gut ist, ehrlich zu sein. Das allerschlimmste ist, wenn sich die jungen Menschen gefoppt fühlen. Ich möchte keine falsche, heile Welt vortäuschen.

derStandard.at: Wenn wir jetzt über das Thema Uni-Zugang sprechen, mit welchen Problemen haben Sie zu kämpfen?

Badelt: Wir haben viel, viel mehr Studierende, die sich für ein Studium interessieren, als wir Kapazitäten haben. Es wäre gesellschaftspolitisch höchst wünschenswert, die Kapazitäten an die Zahl der Studierenden anzupassen und nicht umgekehrt.

derStandard.at: Frau Wulz, wie bewerten Sie die Situation, die es derzeit an mehreren Unis, nicht nur an der WU gibt?

Wulz: Es ist tatsächlich in manchen Bereichen sehr dramatisch. Die STEOP ist in sehr vielen Fällen eine Knock-Out-Phase, die für viele Studierende eine große Hürde darstellt. Dass die Situation an den Unis so schwierig ist, liegt daran, dass es seit Jahrzehnten keine Prioritätensetzung in der Politik und als Folge eine Unterfinanzierung der Universitäten gibt. Jetzt wird darüber diskutiert, wie man möglichst viele Studierende schnell loswerden kann, weil sie vielfach nur als lästiges Beiwerk gesehen werden.

derStandard.at: Um das Problem zu lösen, fordert Rektor Badelt Zugangsbeschränkungen. Sie sind vehement dagegen. Mit welchen Argumenten?

Wulz: Minister Töchterle stellt Zugangsbeschränkungen als Lösung für alle Probleme, die es an den Universitäten gibt, dar. Er hält den Rektorinnen und Rektoren eine Karotte vor die Nase und sagt, damit lösen wir alles, was schief läuft. Wenn es weniger Studierende gibt, ist alles gut. Das Problem ist aber, dass die Karotte faul ist, und gravierende Probleme schafft: Zugangsbeschränkungen sind vor allem eine soziale Hürde. Leute, die sich den teuren Vorbereitungskurs für einen Aufnahmetest nicht leisten können, werden schlechtere Chancen haben, diese Prüfungen zu bestehen.

derStandard.at: Herr Badelt, sind Zugangsbeschränkungen wie eine faule Karotte?

Badelt: Zugangsbeschränkungen existieren, wenn es weniger Kapazitäten als Studierende gibt. Ich kämpfe daher für Zugangsregeln, nicht für Zugangsbeschränkungen. Das ist keine semantische Spitzfindigkeit, sondern ein wichtiger inhaltlicher Unterschied. Was meine ich mit diesem Unterschied? In einer Situation, wo die Kapazitäten kleiner sind als die Studierendenzahlen, will ich in einer rationalen, transparenten und nachvollziehbare Art und Weise eine Regelung, wer die knappen Studienplätze bekommt.

Dass die Kapazitäten ausgebaut werden müssen, da sind wir uns wahrscheinlich eh einig. Ich kann aber eine Universität in der Gegenwart nicht immer nur in der Hoffnung auf das führen, was irgendwann mal sein wird.

derStandard.at: Janine Wulz hat auf die soziale Ungerechtigkeit hingewiesen. Was kann man da machen?

Badelt: Ich glaube, dass es wahrscheinlich kein Auswahlverfahren gibt, das völlig frei von Nachteilen ist. Es gibt aber sicher viel bessere Möglichkeiten als die STEOP. Da hängt viel von der Tagesverfassung ab, es werden aber Lebensentscheidungen getroffen. Man sollte Prüfungen machen, ja. Aber man sollte die Prüfung, die über einen Zugang zum Studium entscheidet unendlich oft wiederholen können.

Wulz: Das ändert nichts am Grundproblem.

Badelt: Naja. Wie gesagt, es wird kein System ohne Nachteil geben. Ein ideales System ist eines, wo jeder studieren kann, wo für jeden Platz ist. Zugegeben.

Wulz: Ausgezeichnet, da sind wir uns einig.

Badelt: Ich kämpfe dafür. Unsere Meinungsunterschiede beginnen mit der Frage: was macht man mit dem Status Quo?

derStandard.at: Frau Wulz, unendlich viele Prüfungswiederholungen wären doch besser als der Status Quo mit der STEOP.

Wulz: Das Prüfungerecht besser zu machen - da bin ich immer auf Ihrer Seite. Aber man muss schon sagen, es bringt auch nix, wenn Leute über Jahre versuchen, eine STEOP-Prüfung zu bestehen. Was passiert in dieser Zeit? Die Leute können nicht studieren, fangen vielleicht daneben an, zu arbeiten. Das können sich auch wieder nur diejenigen leisten, wo die Eltern sagen: ich finanziere dir, das durchzustehen.

Wir haben jetzt schon Zugangsbeschränkungen. Die Frage ist: ersetze ich ein System, das Pest ist, durch ein System, das Cholera ist? Schaffe ich die eine Hürde für Studierende ab, indem ich eine andere aufbaue? Als Rektor sollten Sie sich nicht gegen uns Studierende stellen, sondern sich mit uns auf ein Packl hauen und gemeinsam eine Alternative entwickeln.

Badelt: Wissen Sie, Frau Wulz, ich bin jetzt nicht mehr uniko-Chef. Wäre ich es, würde ich mit Ihnen einen Pakt schließen. Leider war die ÖH bislang nicht Willens zu sagen, machen wir einen politischen Plan, damit wir in der Zukunft mehr Kapazitäten schaffen. Von Ihnen höre ich immer nur, der Zugang muss frei sein. Sie machen sich damit mitschuldig an dem Zynismus an den jungen Menschen! Ich kämpfe mit Ihnen jederzeit für mehr Kapazitäten!

Es ist für mich kein Zustand, den Leuten zu erklären, der Zugang ist frei, kommt herein und nachher werdet ihr hinausschikaniert.

Wulz: Zugangsbeschränkungen selektieren Leute - mittels willkürlichen Kreuzerltests! Durch mehr Orientierung und Beratung würden sich Studierende selbst für unterschiedlichere Studien interessieren und so eine bessere Verteilung schaffen.

Badelt: Aber ungeregelte Zugangsbeschränkungen sind die allerärgsten. An der WU hatten wir 2009/10 insgesamt 6.500 Anfänger in den Bachelor-Studien für 1.300 Plätze, jetzt sind wir bei 4.400. Ich gratuliere angesichts dieser Zahlen zu ihrem Optimismus, dass sie ausschließlich mit Eigenselektion das Problem lösen wollen. Ich betrachte Zugangsregeln nicht als die ideale Welt. Aber ich halte das politische Gerede über den freien Hochschulzugang nicht mehr aus, weil es nicht wahr ist.

Wulz: Was mich immer ärgert ist, dass so viel Energie reingesteckt wird in die Frage, wie Studien beschränkt werden können. Der Fokus liegt leider auf der Frage: wie schaffe ich es, die Leute am besten rauszuprüfen? Das machen Sie, Sie prüfen die Leute raus!

Badelt: Ja, aber ich mache es nicht gerne.

Wulz: Aber es ist ein Problem. Ich glaube Ihnen, dass Sie es nicht gern machen,  aber ich frage mich, warum Sie die Energie in das Rausprüfen und in die Konzeptionierung von einem Procedere stecken, mit dem man möglichst viele Leute rausdrängt, anstatt diese Energie in die Frage zu stecken: wie kann man die Politik zum Handeln zwingen, hier etwas zu verändern?

Badelt: Frau Wulz, ich stecke genug Energie in die Veränderung der Politik. Es gibt wenige Leute, die sich in der Hochschulpolitik so stark engagiert haben, wie ich. Wissen Sie, was der Unterschied ist? Als ÖH-Funktionärin haben Sie das gesellschaftliche Privileg, bei den politischen Forderungen zu verharren. Nur, ich habe auch noch einen Beruf als Leiter einer Universität und da heißt es mit den Studierenden jetzt irgendwie umzugehen, die jetzt da sind.

Wulz: Es ist ein Resignieren vor den politischen Verhältnissen.

Badelt: Nein, es ist kein Resignieren. Obwohl ich schon zugebe, dass man manchmal in der Versuchung ist, zu resignieren. Es ist nur ein zur Kenntnis nehmen, dass ich, der ich für eine Organisation und Menschen, die hier arbeiten und studieren, eine Verantwortung hab. Ich kann nicht nur politisieren, sondern ich muss was für diese Menschen tun.

Ich fühle mich eigentlich von der Politik missbraucht. Das sage ich bewusst in aller Emotionalität. Ich fühle mich missbraucht, weil mein Job als Rektor ist es, eine Institution zu leiten, die dazu da ist, dass Menschen sich entwickeln können und zum Erfolg kommen. Mein Job ist es aber nicht, den Leuten, den die Politiker eingeredet haben, dass sie hier studieren können, morgen so viele Prügel in den Weg zu legen, dass sie als Versager wieder hinausgehen. Und das möglichst früh.

derStandard.at: Im Gespräch für Zugangsregeln sind Architektur, Pharmazie, Biologie, Informatik und Wirtschaftswissenschaften. Die eine Studienrichtung wird beschränkt, die andere nicht. Ist das fair? Wie kann man das rechtfertigen?

Badelt: Es gibt dann natürlich Verdrängungseffekte zu anderen Studienrichtungen. Faktum ist, dass es jede Menge Studien gibt, die noch genug Platz haben. Wenn es eine rationale Kapazitätsplanung seitens der Politik geben würde, müsste man sich einer Frage stellen, die die Politiker gerne unter den Teppich kehren, nämlich: wieviele Studienplätze bezahlen wir für welche Studien?

derStandard.at: Vor allem: auf welche Prognosen verlässt man sich da?

Badelt: Es gibt sicherlich keinen vernünftigen Grund die Studienplätze der Wirtschaftswissenschaften zu beschränken.

derStandard.at: Aber die Unis sollen ja dann entscheiden, ob die Zugangsbeschränkungen zur Anwendung kommen oder nicht?

Badelt: So sehr ich für Zugangsregeln kämpfe, hielte ich das für nicht gescheit. Ich frage mich, ob das eine sprachliche Unschärfe des Herrn Töchterle ist oder Absicht? Ich halte es für absurd, der Universität alleine das Recht zu geben, Studierendenzahlen festzulegen. Das ist völlig absurd.

Wulz: Vor allem weil die Unis nicht alleine über das Budget entscheiden, sondern vom Ministerium abhängig sind. Es ist klar, dass das ein Abwälzen von einer politischen Entscheidung ist.

Badelt: Natürlich!

Wulz: Es ist nicht das erste Mal, dass Töchterle Dinge, die in einer politischen Entscheidungsmacht liegen, auf die Autonomie der Universitäten abwälzt.

Badelt: Bei aller Sympathie für die Autonomie: Die Zahl der zuzulassenden Studierenden sollte im Einklang mit dem Budget in den Leistungsvereinbarungen festgelegt werden.

Wulz: Ich glaube nicht, dass politisch oder wirtschaftlich festgelegt werden kann, wieviele Studierende von welcher Fachrichtung ich in zehn Jahren brauche.

Badelt: D'accord!

Wulz: Das beste Beispiel ist die LehrerInnenbildung, wo Elisabeth Gehrer Anfang 2000 gesagt hat, man solle nicht Lehramt studieren, weil es zu viele gibt. Heute wissen wir, dass wir auf einen PädagogInnen-Mangel zusteuern. Auch kann man das nicht von einzelnen Studienrichtungen ablesen. Philosophie-AbsolventInnen haben die niedrigste Arbeitslosenquote von allen geisteswissenschaftlichen Studien.

Badelt: Die werden dann EU-Kommissar.

Wulz: Beispielsweise. Andererseits findet nicht jeder BWL-Absolvent einen Job. Die Frage ist auch, wer in die Berechnungen eingebunden wird. Eines der dramatischsten und gefährlichsten Dinge in der Zugangsbeschränkungsdebatte ist, dass Minister Töchterle in den Berechnungen davon ausgeht, dass sowieso 100.000 Studierende von den Universitäten gedrängt werden. Er geht nur von den prüfungsaktiven Studierenden aus. Er rechnet all jene nicht mit, die weniger als 16 ECTS-Punkte machen. Damit verfälscht er die Zahlen.

Badelt: Ich kann das übrigens quantitativ belegen, was Sie sagen.

Wulz: In der Debatte rechnen wir also mit falschen Zahlen. Es wird mit 200.000 gerechnet, obwohl es 300.000 Studierende gibt. Das ist absurd.

Badelt: Ich konkretisiere das. Es ist ja fürchterlich, dass wir uns heute dauernd einig sind.

Wulz: Ich bin verwundert.

Badelt: Im Ernst: Das ist ein absoluter Hohn. Die WU hat den höchsten Anteil an sogenannten studieninaktiven Studierenden, nämlich 50 Prozent. Wir haben über 12.000 studieninaktive Studierende. Von ihnen stehen mehr als die Hälfte in der STEOP oder in der Assessment Phase der deutschsprachigen Master. Ein großer Teil davon sind deswegen studieninaktiv, weil man sie nicht studieren lässt. Man bestraft daraufhin die Universitäten, die viel zu wenige Kapazitäten in Relation zu der Studierendenzahl haben. Die Politik gibt ihnen von Vornherein nur für die Hälfte der Studierenden Geld. Das Ministerium schreibt mir dann, ich soll einen Vorschlag machen, wie man die Zahl der inaktiven Studierenden verkleinern kann. Langsam frag ich mich: Ist das noch ganz dicht?

derStandard.at: Ein Teufelskreis.

Badelt: Ein Teufelskreis des Zynismus.

Wulz: Es ist mehr als ein Armutszeichen. Es wird vergessen, dass von dieser Politik auch Menschen betroffen sind. Tausende Menschen von den Unis zu drängen führt langfristig zu großen gesellschaftlichen Problemen wie höhere Jugendarbeitslosigkeit und eine noch geringere AkademikerInnenquote. Wir sind 320.000 Studierende und über eine Million junge Menschen im Bildungssystem. Wir werden um unsere Zukunft betrogen.

derStandard.at: Eine letzte Frage an Sie beide. Jetzt verhandeln SPÖ und ÖVP Zugangsregeln. Was wollen Sie ihnen noch auf den Weg mitgeben?

Badelt: Was ich von den Verhandlungen weiß, wird der Zynismus nur verlängert. Wenn man Zugangsregeln an den bisherigen Inskriptionszahlen orientiert, wird wieder in der STEOP die Entscheidung getroffen. Das ist die Perpetuierung dieses Zynismus.

Wulz: Das Ergbnis dieser Vehandlungen wird wahrscheinlich wieder eine kurzfristige, Husch-Pfusch- Lösung sein, die gerade bis zur nächsten Nationalratswahl hält. Ich würde mir endlich ein Ende der politischen Spielchen und stattdessen gemeinsame Verhandlungen mit Universitäten und Studierenden wünschen. (Sebastian Pumberger, Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 15.10.2012)