Peking/Stockholm/Frankfurt am Main/Wien - Der chinesische Dissident und Künstler Ai Weiwei hat die Vergabe des Literaturnobelpreises an seinen Landsmann Mo Yan als "fast unerträglich" kritisiert. "Kann man einen Schriftsteller mit diesem Preis auszeichnen, der sich vom heutigen politischen Kampf in China fernhält? Ich halte das für fast unerträglich", sagte Ai Weiwei am Donnerstag der portugiesischen Zeitung "Publico" (Onlineausgabe). Die Entscheidung der Schwedischen Akademie empfinde er deshalb als "sehr bedauerlich" und "gelinde gesagt gefühllos", fügte der 55-Jährige Ai Weiwei an.

"Das ist großartig", reagierte indessen Richard Trappl, Direktor des Konfuzius Instituts und außerordentlicher Professor am Institut für Sinologie der Uni Wien spontan auf die Verleihung des Literaturnobelpreises an den Chinesen Mo Yan. "Das freut mich ganz besonders, endlich wieder ein Chinese", teilte er aus China mit.

Auch Susanne Weigelin-Schwiedrzik, Sinologin und Vizerektorin der Uni Wien, gratulierte dem Nobelpreiskomitee zu seiner "hervorragenden Wahl". Mo Yan habe das Bild der chinesischen Literatur besonders stark geprägt, sagte die Sinologin, die sich intensiv mit dem Werk des Schriftsteller beschäftigt hat. Mo Yan stamme aus bäuerlichen Kreisen und schreibe vor dem Hintegrund seiner persönlichen Erfahrungen über das ländliche China. Seine Geschichten projiziere er in einen imaginären Landkreis in China. Dabei zeige er die Situation Chinas im 20. Jahrhunderts und zwar "das Bild, das die chinesische Bevölkerung von ihrer eigenen Geschichte hat, im Gegensatz zu jenem Bild, das die Kommunistische Volkspartei mit ihren Mitteln versucht durchzusetzen".

Eine Besonderheit Mo Yans sei zudem, dass er internationale literarische Strömungen wie etwa den magischen Realismus aufnehme und mit der chinesischen Erzähltradition kopple. "Seine Werke sind keine Kopien westlicher Strömungen, aber stehen auch nicht isoliert da". Das hält die Sinologin für den Hauptgrund für die Entscheidung des Komitees. "Seine Geschichten sind einfach schlagend, beeindruckend und überzeugend", so Weigelin-Schwiedrzik. Mit dem Preis trage das Komitee auch endlich der Tatsache Rechnung, dass es eine lebhafte und produktive literarische Szene in China gebe, die bisher vollkommen unterrepräsentiert gewesen sei. Der westlichen Kritik, Mo Yan sei zu nahe am politischen System Chinas kann sie nichts abgewinnen: "Die politische Fragestellung wurde in der Vergangenheit überbewertet, glücklicherweise hat sich das Komitee darüber hinweggesetzt und die literarische Qualität bewertet."

Interdependenz zwischen China und Europa

Auch der österreichische Schriftsteller Peter Rosei, der unlängst durch China reiste, begrüßte den Preis für den chinesischen Autor. "Dadurch wird uns die chinesische Gesellschaft und Kultur näher gerückt, die auch für Europa so wichtig sind." Die Entscheidung zeige die extrem starke globale Vernetzung und Interdependenz zwischen China und Europa, die viel größer sei "als der Durchschnittseuropäer sich das klar macht." China erschöpfe sich nicht in Fragen der Menschenrechte oder Tibet, wie europäische Medien gerne suggerierten, so Rosei.

Auch Schriftsteller-Kollege Martin Walser begrüßte die Auszeichnung deutlich. "Es könnte für mich keinen glücklicheren Kandidaten geben, er ist über jeden Zweifel erhaben", sagte der 85-Jährige:"Ich halte ihn für den wichtigsten Schriftsteller unseres Zeitalters und platziere ihn gleich neben Faulkner."

"Er war nicht mein Favorit", sagte dagegen die Literaturnobelpreisträgerin von 2009, Herta Müller. Autorin und Kritikerin Elke Heidenreich hält den Literaturnobelpreis für Mo Yan für eine politisch-motivierte Entscheidung aus Stockholm. "Es ist ein politischer Preis. Ich war nicht überrascht", sagte sie auf der Frankfurter Buchmesse. Sie glaube nicht, dass Mo Yan ein politisch angepasster Autor sei.

Auch die Verleger freuen sich über den Sieg ihres Autors: Der Berliner Horlemann Verlag, bei dem 2009 Mos Roman "Der Überdruss" erschien, hat "mit großer Freude" auf die Verleihung des Literaturnobelpreises an den chinesischen Autor Mo Yan reagiert. "Mo Yan kam als armer Bauernsohn aus der chinesischen Provinz. Er hat den Preis wirklich verdient", sagte Verlagsgeschäftsführer Tim Voß. Er habe sich auf eine neue, fantastische Art und Weise mit der Politik und Gesellschaft seines Landes auseinandergesetzt.  .

Der Züricher Unionsverlag, der vier Titel des neuen Literaturnobelpreisträgers im Sortiment hat, hält Mo Yan für einen herausragenden Autor. "Er spielt eine große Orgel mit vielen Registern", sagte Verlagsgründer und Verleger Lucien Leitess auf der Frankfurter Buchmesse. Seine Texte seien oft skurril, aber manchmal auch grausam und hart, "wie eben auch die chinesische Realität". (APA, 11.10.2012)