Wie konnte das passieren? Roh marinierter Seesaibling mit Zwetschke, Zwiebel, Wacholderschnaps. Dann sautiertes Lammbries mit gelben Wurzeln, Eierschwammerln, Dörrzwetschken, später noch knusprig gebratene Brust vom Perlhuhn mit Artischocke, Melanzani und Butternut - und der Fidler greift nicht einfach zu beim Menü "Mahlzeit - gschmackig und g'sund"?

Auch die rosa Wachtelbrust mit gebrannter Brotcreme, Karfiol und Kräuterseitling aus "Das Erdige - bodenständige Strukturen" lässt er an diesem Abend links liegen. Und gar noch Trüffel-Nockerl, Steinpilzöl, Champignon, gelben Paprika und Apfel-Balsamessig wie einen Wildschafrücken mit Maisbrot Walnuss, Gelbwurz und Vogelmiere aus "Das grüne Menü - sommerliche Genüsse". Ich kenne diesen Mann nicht mehr, scheint mir.

Nein, natürlich war ich, der Fidler, ich selbst, um diesen Drittepersonkäse wieder ein bisschen auf den Boden zu holen. Aber überrascht hat mich schon, was ich bestellte, als ich Ende September endlich wirklich in Herrn Neumeisters Saziani Stub'n hockte, endlich wieder, und endlich erstmals von Harald Irka als Küchenchef bekocht, den Kollege Corti ja schon hymnisch gelobt hat. Ich bin ja recht oft eines Sinnes mit dem Profi, aber selten so wie hier: würdig und recht. Bin gespannt, was die Profis von Gault Millau demnächst über Irka sagen.

Der noch immer ziemlich junge Mann arbeitet mit einer Klarheit, Fantasie und Präzision, und das mit oft einfachen Produkten aus der Region, das gefällt mir Dilettanten schon ganz gut.

Überrascht hab ich auch Herrn Neumeister, der aber von Corti vorgewarnt war und zumindest so tolerant und verständnisvoll wie sonst. Gut, man denkt sich natürlich schon was dabei, wenn man so eine Menüfolge so zusammenstellt, sagt er. Aber er sagt auch, er kann schon verstehen, dass einen die einfachen Dinge interessieren. Ob er da Parallelen zu meinem einfachen Gemüt gezogen hat, ist demselben jetzt zu hoch.

Etwas erschrockener wirkte die Kellnerin bei der Bestellung - wo der Fidler doch nur kalt und lauwarm gewählt hat. So richtig heißblütig fand mich ja auch noch niemand, also passt das schon. Aber können wir langsam zur Sache kommen, Fidler? Gerne.

So fängt es an in den Saziani Stub'n: Grissini aus Traubenkernmehl, natürlich Neumeister-Trauben. A propos: Ich finde ja sehr sympathisch, dass die Weinbegleitung nicht alleine auf Hauseigenes setzt und die anderen nicht gleich durch die Bank mit "Sazianis feiner Selektion" oder ähnlichen Haushandelsmarken gebranded sind. Die Traubenkerngrissini schon einmal angenehm rau, fand ich.

Saziani Stub'n

Fünf Gänge, Apfelsaft, je ein Glas Neumeister-Sekt, Sauvignon Blanc Klausen 2007, Kaffee: 76,90 Euro

Foto: Harald Fidler

Bevor die Küche loslegt beschäftigt sich der Fidler noch ein bisschen mit Deko und Weißabgleich, die Hoffnung auf vernünftige Fotos stirbt zuletzt.

Foto: Harald Fidler

Da grüßt sie schon die Küche, und wie: Hinten ein "Kräutertoast" mit Holzkohlesenf - erdig, bittrig, kräftig, gut, fand ich. Und vorne eine bittere Miniorange mit Hühnerleber. So kommt auch der heute so unfleischige Fidler noch zu einem Gout von Innerei. Gut, sehr gut!

Foto: Harald Fidler

Kürbis, wundercremigst und gebacken, darauf ein Scheibchen Butternut.

Foto: Harald Fidler

Rotkrautröllchen, geliert und gefüllt mit Krenmousse - bin schon begeistert.

Foto: Harald Fidler

Ein paar Aufstriche als Unterlag' schaden natürlich auch nie, vor allem diese: geräuchertes Kalbsmark zum Beispiel, hier im Bild. Ich kann nicht schon wieder Freudenschreie ausstoßen, oder?

Foto: Harald Fidler

Geschäumtes Schweineschmalz zudem, auch nicht von schlechten Eltern.

Foto: Harald Fidler

Am besten gefiel mir simplem Gemüt aber die Ziegenbutter - die Ziegen hält ein ehemaliger ÖBB-Bediensteter in der Umgebung, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Ein feiner Zug von ihm, keine Frage.

Foto: Harald Fidler

Und all das kommt auf dieses Brot: Duftend, dunkel - und wieder mit einem ordentlichen Anteil hauseigenen Traubenkernmehls, dazu Roggen. So finster mags der Fidler gern.

Foto: Harald Fidler

Zeit, den ersten Gang einzulegen: Ei, aus dem "erdigen" Menü gezupft, pochiert, auf knusprigem Getreide, vermischt mit ebenso knuspriger Hühnerhaut, dazu geräuchterte Butter. Schön. Und gut. Mollig-bröselig. Ich würde es wieder tun.

Foto: Harald Fidler

Wir biegen ab zum ebenfalls ersten Programmpunkt aus dem "grünen" Menü - Gebackene Heurige, im Heu, wenn ich mich nicht verhört hab, Chips und unter der Buttermilchhaut Püree, Schnittlauch, Majoran, Kapuzinerkresse. Ich will ja jetzt als Unzuständiger nicht auch noch in Gastroprosa dilettieren, aber die Säure der Milch und die Süße der Erdäpfel hatten schon ihren Spaß miteinander - und ich sowieso.

Foto: Harald Fidler

Und schon sind wir in Gang drei des Menüs "Die Mahlzeit", quasi nach Saibling und Lamm, die wir uns heute nur vorstellen (hmm!). Namens: "Erbse". 

Genau die kommt spät - und hält umso länger an: Geräucherte Erbsen liegen unter ordentlich Kräutern, kräftig die Minze, auf einem - hoppla! geeisten Joghurtbett mit Kamille, sehr spannend. Stangensellerie und, wenn ich das jetzt richtig gehört, geschmeckt und notiert hab, Fisolen, aber da bin ich nicht mehr ganz sicher.

Bin noch immer sehr überzeugt von meiner Wahl, meiner Tour kreuz und quer durchs Gemüsebeet...

Foto: Harald Fidler

... komm ich zum Hauptgang wieder zurück ins "erdige" Menü: Karpfenfilet, dunkelrot vom Hollunder, klingt eigen, schmeckt aber ausgesprochen schlüssig.

Dazu ein "Topfenstrudel" - im gelierten Kohlrabiblatt und belegt mit Karpfenrogen. Sehr, sehr, sehr spannend.

Und aus Karfiolscheiben formt Herr Irka dann noch kleine Täschchen, gefüllt mit Fischfonds und Topfen, die er nonchalant unter Kapuzinerkresse & Co verteilt. Eine schöne Überraschung für den Fidler, der allein mit ein bisserl Rohkost rechnet.

Welches schön röstige Aroma ihn noch unter Kresse und Kohlsprossenblättern überrascht haben könnte, wusste keiner so recht zu sagen. Vielleicht schäumte Fidlers Begeisterung über das Gericht (und die davor) gerade über, vielleicht lag's am ersten Glas Wein - Neumeisters SB Klausen 2007 - darauf blickt der Fidler auch gern zurück.

Foto: Harald Fidler

Ein Malzmousse für zwischendurch zeigt beim näheren Hinsehen (auch ohne Sauvignon Blanc) interessante Strukturen - darunter Vogelbeere und crunchy Malz, schöne Kombination.

Und auch wenn ich ja wirklich keine Süßer bin, wie Schmeck's-Stammgäste wissen, so konnte ich doch nicht...

Foto: Harald Fidler

... am Dessert des "grünen" Menüs vorbei. Und lag dabei gar nicht falsch: Die Milchhaut mit Ziegenfrischkäse, darunter Heidelbeeressigsorbet und Heidelbeermark (so vermute ich in völliger Unkenntnis des Fachterminus) in etwas süßerer Variante balancierten einander für mich Dessertproblemfall wunderbar aus, darauf schön auch Thymian. Und die Heidelbeeren sowieso.

Foto: Harald Fidler

Lang stand dann noch dieser Teller mit zwei Petits Fours vor mir. Sehr lange. Dann verschwand die Kugel im Vordergrund im Fidler. Obwohl sie laut Vorstellung Karamell enthielt. Viel Karamell, unwahrscheinlich cremig. In einer hauchdünnen Hülle dunkler Schokolade. Gerollt in Kamille (die hat mich letztlich überzeugt). Wow. Muss ich zugeben. Und gar nicht so dramatisch süß. Das Schokoschnittchen dahinter hab ich aber doch ausgelassen. Man hat ja einen Ruf zu verlieren.

"Etwas Besseres hab ich noch nicht gegessen", zum Beispiel. So ruft es vom großen, deutsch und gesetzt besetzten Nebentisch. Kugel oder Schnitte?, frage ich die Frau Nachbarin da. "Kugel". Und: Sie esse normal ja nichts Süßes. Aber das...

Und das nächste Mal ess ich ein Menü von vorne bis hinten durch. Oder zwei. Bald, hoffe ich. (Harald Fidler, derStandard.at, 16.10.2012)

Foto: Harald Fidler