Ein Schutthaufen, der einmal ein Dorf war. Die Zwangsumsiedlungen für das Staudammprojekt Belo Monte haben bereits begonnen.

Screenshot: Countdown am Xingu

Der Flusslauf des Xingu wird durch den Bau völlig verändert. Viele Fischer werden auf dem Trockenen sitzen, andere Stadtviertel werden überschwemmt.

Screenshot: Countdown am Xingu

Dadurch werden Fischer, Flussbauern und Indigene ihre Lebensgrundlage und ökonomische Unabhängigkeit verlieren.

Screenshot: Countdown am Xingu

Die brasilianische Regierung setzt auf eine Politik der vollendeten Tatsachen. Der Protest der betroffenen Bürger verhallt oft ungehört.

Screenshot: Countdown am Xingu

Eine Demonstrantin taucht ihren Arm bis zum Ellbogen in einen Kübel mit roter Farbe ein und schleudert sie wütend auf einen Bagger. Es bleiben nur dünne Farbspritzer auf der wuchtigen Maschine zurück. Diese Bilder eines Protests auf einer Baustelle des Belo Monte Staudamms im Norden Brasiliens wirken wie ein Symbol für die Ohnmacht der Bürger gegen eine Politik der vollendeten Tatsachen, die die brasilianische Regierung vollstreckt.

Das gewaltige Bauprojekt verändert bereits jetzt die Natur und das Leben der Menschen drastisch. Der Schweizer Filmemacher Martin Keßler lässt in seiner Dokumentation "Countdown am Xingu II" die Betroffenen zu Wort kommen. Es sind Indigene, Fischer und Flussbauern, die er entlang des 1980 Kilometer langen Flusses aufgesucht hat.

Zwei Staudämme und zwei Stauseen, die eine Fläche von fast 600 Quadratkilometer einnehmen sollen, werden zwischen Altamira und Vitória do Xingu gebaut. Ein Stausee wird den Fluss verbreitern, der andere weite Teile des Landes überfluten. Dadurch wird der natürliche Flusslauf verändert: Wo der Xingu heute eine große Kurve macht, wird er viel weniger Wasser führen. Die Selbstversorgung der Menschen, die vom Fischfang oder den Früchten des Urwalds leben, wird dann nicht mehr möglich sein.

Gebrochene Versprechen von Norte Energia

Das Filmteam begibt sich in eines der Dörfer, das für das Bauprojekt bereits dem Erdboden gleichgemacht wird. 60 Familien werden zwangsweise umgesiedelt, viele Häuser wurden bereits abgerissen. Ein Anblick wie nach einem Erdbeben. Der Boden ist übersät mit zerbrochenen Ziegeln, dazwischen sind Möbel, Geschirr und ein Paar Flip Flops zu erkennen. Nur noch wenige Hütten stehen, darin leben die Abbrucharbeiter.

Eigentlich hat der Energiekonzern Norte Energia allen Bewohnern an einem neuen Standort ein "Ersatzdorf" versprochen. Ein gebrochenes Versprechen, denn die Dorfgemeinschaft wird zerrissen. Die meisten Bewohner haben für ihre Häuser umgerechnet rund 4.000 Euro erhalten, berichtet ein ehemaliger Bewohner. "Damit kann man doch kein neues Haus kaufen", klagt der Fischer. Selbst vom Friedhof des Dorfes hat Norte Energia Besitz ergriffen. Ein großes Schild informiert die Menschen, dass es ab Jänner verboten ist, hier die Toten zu bestatten.

Todesdrohungen und politische Gefälligkeitsurteile

Dabei ist auf juristischer Ebene noch nicht das letzte Wort gesagt: Aktuell laufen bis zu zwölf Prozesse gegen Belo Monte, die noch nicht entschieden sind. Der Stopp des Baubeginns wurde jedoch vom Gericht abgewiesen. Die Begründung lautet: Die Vorbedingungen könnten doch noch im Laufe der Baumaßnahmen erfüllt werden.

Ein politisches Gefälligkeitsurteil, meinen Kritiker des Bauvorhabens. "Wie der Name schon sagt, sollten Vorbedingungen schon vor und nicht erst nach dem Bau erfüllt werden", kritisiert Staatsanwalt Cláudio Terre do Amaral im Gespräch mit Martin Keßler.

Todesdrohungen und Schweigen

Einschüchterungen von Gegnern bis hin zu Todesdrohungen stünden an der Tagesordnung. Häuptlinge und andere Mitglieder der Indigenen, die Widerstand leisten, erhalten immer wieder Morddrohungen. Bischof Erwin Kräutler, der im Vorjahr den alternativen Nobelpreis gewonnen hat, ist einer der schärfsten Kritiker von Belo Monte. Der gebürtige Österreicher steht selbst seit vier Jahren unter ständigem Polizeischutz. Auch während der Dreharbeiten in Altamira im nördlichen Bundesstaat Pará ist immer eine Zivilstreife mit dabei.

Kräutler kritisiert zudem die fehlende Transparenz: Denn gebaut wird überwiegend mit öffentlichen Geldern, im Auftrag des Betreiberunternehmens Norte Energia. "Als Staatsbürger sollte man das Recht haben, sich das Ganze selbst anzuschauen", sagt der Bischof im Film. Die Anfrage des Filmteams für eine Drehgenehmigung vor Ort wurde jedoch nicht einmal beantwortet. 

Für dumm verkauft

Durch Bürgerinitiativen und die unermüdliche Arbeit der Aktivisten, werden immer öfter falsche Informationen aufgedeckt. Am Flussufer von Altamira etwa trifft das Kamerateam eine Gruppe von Fischer. Ein Mann erzählt von einem Repräsentanten von Norte Energia: "Der wollte uns für dumm verkaufen. Er hat gemeint, dass mehr Wasser mehr Fische bringen wird. Als ob wir Fischer nicht wüssten, was die Folgen eines Staudamms sind."

Die Enttäuschung über eine Regierung, die sich immer volksnah gibt, ist in der Bevölkerung daher groß. Sheila Juruna Machado, die Sprecherin der Indigenen, spricht von einer Verletzung der Menschenrechte: "Ich glaube nicht mehr an eine Gerechtigkeit in Brasilien."

Strom für Aluminiumherstellung

Nicht nur Protest, auch Aufklärung sei wichtig, meint Bischof Kräutler. Denn viele Brasilianer würden immer noch glauben, dass Belo Monte mehr Elektrizität für das Land bringen werde. "Die Regierung behauptet zum Beispiel, dass 80 Prozent der zukünftig produzierten Strommenge von 11.000 Megawatt in das brasilianische Netz eingespeist wird.

Das sei aber eine Lüge, erklärt Antonia Melo vom Protestbündnis "Xingu vivo para sempre" im Gespräch mit Martin Keßler. Der Strom durch Belo Monte komme keineswegs nur der Bevölkerung zu Gute, sagt sie: "Die Energie dieser Talsperre ist zu 80 Prozent für stromintensive Bergbaukonzerne wie Alcoa, Vale oder chinesische Firmen gedacht." Vor allem die Aluminiumindustrie würde davon profitieren.

Aluminium für die Autoindustrie

"Die Energie ist nicht für das Volk, sondern für die Aluminiumindustrie", ist auch Kräutler überzeugt. Mercedes Benz etwa könn in der Werbung Gewichtsverluste und höhere Geschwindigkeit feiern - aber das nur dank einer leichten Aluminiumkarosserie. Das deutsche Unternehmen profitiere noch zusätzlich, weil für die Bauarbeiten am Staudamm Belo Monte hunderte LKW angekauft werden. Mit dem ansteigenden Aluminiumverbrauch der weltweiten Automobilindustrie beschleunige sich aber eben auch die Zerstörung des Amazonas, sagt Kräutler.

Auch andere große Firmen aus Deutschland, Österreich und Frankreich kassieren mit. Immer wieder wurde auch die österreichische Firma Andritz kritisiert, die mit dem Verkauf von Turbinen für den Staudamm Geschäfte macht. "Diese Firmen lassen sich nicht durch Ethik stoppen", so Kräutler.

72 weitere Staudämme geplant

Laut Plan soll der Riesenkraftwerk bis 2014 fertig sein. Aber Belo Monte ist nur der Startschuss: Allein am Xingu will die Regierung bis zu vier weitere Staudämme bauen. Landesweit sind insgesamt 71 Anlagen geplant, hauptsächlich entlang des Amazonas. 

Schon jetzt wurden viele Hektar Urwald vernichtet - und das alles ohne abschließende Gutachten. Zahlreiche Pflanze und Tiere werden ausgerottet, die es nur in dieser Gegend des Flusses gibt. Für Filmemacher Keßler ist die Situation immer noch unfassbar: "Ich fühlte mich wie ein Kriegsberichterstatter - beim Lokalaugenschein eines Krieges gegen die Natur." (Julia Schilly, derStandard.at, 18.10.2012)